% @book{bg_khm_kl-ausg_1833, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen. % {G}esammelt durch die {B}r{\"{u}}der {G}rimm. % {K}leine {A}usgabe. % {Z}weite verbesserte {A}uf{"|}lage", % publisher = "Gedruckt und verlegt bei G.\,Reimer", % address = "Berlin, Germany", % year = "1833", % language = "German", % } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von Y. Nagata am 02. August 2012 % \maerchentitel{Marienkind} % 2. %S.7 % Marienkind. %S.7 Vor einem gro"sen Walde lebte ein Holzhacker mit seiner %S.7 Frau und seinem einzigen Kind, das war ein M"adchen und %S.7 drei Jahre alt. Sie waren aber so arm, da"s sie nicht mehr %S.7 das t"agliche Brot hatten und nicht wu"sten, was sie ihm sollten %S.7 zu essen geben. Eines Morgens gieng der Holzhacker voller %S.7 Sorgen hinaus in den Wald an seine Arbeit, und wie er da %S.7 Holz hackte, stand auf einmal eine sch"one, gro"se Frau vor ihm, %S.7 die hatte eine Krone von leuchtenden Sternen auf dem Haupt %S.7 und sprach zu ihm {\oqs}ich bin die Jungfrau Maria, die Mutter %S.7 des Christkindleins: du bist arm und d"urftig, bring mir dein %S.7 Kind, ich will es mit mir nehmen, seine Mutter seyn und f"ur %S.7 es sorgen.{\cqs} Der Holzhacker gehorchte, holte sein Kind, und %S.7 "ubergab es der Jungfrau Maria, die nahm es mit sich hinauf %S.7 in den Himmel. Da gieng es ihm wohl, es a"s Zuckerbrot und %S.7 trank s"u"se Milch, und seine Kleider waren von Gold, und die %S.7 Englein spielten mit ihm. Als es nun vierzehn Jahr alt geworden %S.7 war, rief es einmal die Jungfrau Maria zu sich und %S.7 sprach {\oqs}liebes Kind, ich habe eine gro"se Reise vor, da nimm %S.7 die Schl"ussel zu den dreizehn Th"uren des Himmelreichs in Verwahrung: %S.7 zw"olf darfst du davon aufschlie"sen, und die Herrlichkeiten %S.7 betrachten, aber die dreizehnte, die dieser kleine Schl"ussel %S.8 "offnet, die ist dir verboten, und h"ute dich, da"s du sie nicht aufschlie"sest, %S.8 sonst wirst du ungl"ucklich.{\cqs} Das M"adchen versprach %S.8 ihr gehorsam zu seyn, und als nun die Jungfrau Maria weg %S.8 war, fieng es an und besah die Wohnungen des Himmelreichs: %S.8 jeden Tag schlo"s es eine auf, bis die zw"olfe herum waren. %S.8 In jeder aber sa"s ein Apostel, und war so viel Glanz umher, %S.8 da"s es sein Lebtag solche Pracht und Herrlichkeit nicht gesehen %S.8 hatte: und es freute sich dar"uber und die Englein, die es immer %S.8 begleiteten, freuten sich mit ihm. Nun war nur noch die %S.8 verbotene Th"ure "ubrig, da empfand es eine gro"se Lust zu wissen %S.8 was dahinter verborgen w"are, und sprach zu den Englein {\oqs}ganz %S.8 aufmachen will ich sie nicht, aber ein bischen aufschlie"sen, damit %S.8 wir durch den Ritz sehen.{\cqs} {\oqs}Ach nein, sagten die Englein, %S.8 das w"ar S"unde: die Jungfrau Maria hats verboten, und es %S.8 k"onnte leicht dein Ungl"uck werden.{\cqs} Da schwieg es still, aber die %S.8 Lust und Neugier in seinem Herzen schwieg nicht still, sondern %S.8 pickte ordentlich daran und lie"s ihm keine Ruhe. Und als die %S.8 Englein einmal weggegangen waren, dachte es {\oqs}nun bin ich ganz %S.8 allein, wer siehts dann!{\cqs} und holte den Schl"ussel. Und als es %S.8 ihn geholt hatte, steckte es ihn auch in das Schl"usselloch, und %S.8 als es ihn hineingesteckt hatte, drehte es auch um. Da sprang %S.8 die Th"ure auf, und es sah im Feuer und Glanz die Dreieinigkeit %S.8 sitzen, und r"uhrte ein klein wenig mit dem Finger an den %S.8 Glanz, da ward er ganz golden. Da ward ihm Angst, und es %S.8 schlug die Th"ure heftig zu und lief fort. Die Angst wollt auch %S.8 nicht wieder weichen, es mochte anfangen was es wollte, und %S.9 das Herz klopfte in einem fort und wollte nicht ruhig werden: %S.9 auch das Gold blieb an dem Finger und gieng nicht ab, es mochte %S.9 waschen so viel es wollte. %S.9 Nach wenigen Tagen kam die Jungfrau Maria von ihrer %S.9 Reise zur"uck, rief das M"adchen zu sich und forderte ihm die %S.9 Himmelsschl"ussel wieder ab. Indem es den Bund hinreichte, %S.9 blickte es die Jungfrau an und sprach {\oqs}hast du auch nicht die %S.9 dreizehnte Th"ure ge"offnet?{\cqs} {\oqs}Nein,{\cqs} antwortete es. Da legte sie %S.9 ihre Hand auf sein Herz, f"uhlte wie es klopfte und klopfte, %S.9 und sah wohl, da"s es ihr Gebot "ubertreten und die Th"ure aufgeschlossen %S.9 hatte. Da sprach sie noch einmal {\oqs}hast du es gewi"s %S.9 nicht gethan?{\cqs} {\oqs}Nein,{\cqs} sagte das M"adchen zum zweitenmal. %S.9 Da erblickte sie den Finger, der von der Ber"uhrung des himmlischen %S.9 Feuers golden geworden war, und wu"ste nun gewi"s, %S.9 da"s es schuldig war, und sprach zum drittenmal {\oqs}hast du es %S.9 nicht gethan?{\cqs} {\oqs}Nein{\cqs} sagte das M"adchen zum drittenmal. Da %S.9 sprach die Jungfrau Maria {\oqs}du hast mir nicht gehorcht und hast %S.9 gelogen, du bist nicht mehr w"urdig im Himmel zu seyn.{\oqs} %S.9 Da versank das M"adchen in einen tiefen tiefen Schlaf, und %S.9 als es erwachte, lag es unten auf der Erde bei einem hohen %S.9 Baum, der rings mit dichtem Geb"usch umz"aunt war, durch %S.9 welches es nicht dringen konnte. Der Mund war ihm auch %S.9 verschlossen und es konnte kein Wort reden. In dem Baum %S.9 war eine H"ohle, darin schlief es in der Nacht, und darin sa"s %S.9 es bei Regen und Gewitter; Wurzeln und Waldbeeren waren %S.9 seine Nahrung, die suchte es sich, so weit es kommen konnte. %S.10 Im Herbst sammelte es die Bl"atter des Baumes und trug sie %S.10 in die H"ohle, und wenn es dann schneite und fror, barg es sich %S.10 darin. Auch verdarben seine Kleider und fielen ihm ab, da %S.10 mu"ste es sich in die Bl"atter einh"ullen. Sobald dann die Sonne %S.10 wieder warm schien, gieng es heraus und setzte sich vor den %S.10 Baum, und seine langen Haare bedeckten es von allen Seiten %S.10 wie ein Mantel. So sa"s es lange Zeit und f"uhlte den Jammer %S.10 und das Elend der Welt. %S.10 Einmal zur Fr"uhlingszeit jagte der K"onig des Landes in %S.10 dem Wald und verfolgte ein Wild, und weil es in das Geb"usch %S.10 geflohen war, das den hohlen Baum umschlo"s, stieg er ab, ri"s %S.10 es von einander und hieb sich mit seinem Schwert einen Weg. %S.10 Als er nun hindurchgedrungen war, sah er unter dem Baum %S.10 ein so wundersch"ones M"adchen sitzen, das von seinem goldenen %S.10 Haar bis zu den Fu"szehen bedeckt war. Voll Erstaunen trat %S.10 er hinzu und sprach {\oqs}wie bist du in die Ein"ode gekommen?{\cqs} %S.10 Es schwieg aber still, denn es konnte seinen Mund nicht aufthun. %S.10 Der K"onig sprach weiter {\oqs}willst du mit mir auf mein %S.10 Schlo"s gehen?{\cqs} Da nickte es blo"s ein wenig mit dem Kopf. %S.10 Der K"onig nahm es auf seinen Arm, trug es auf sein Pferd %S.10 und f"uhrte es heim, wo er ihm Kleider anziehen lie"s und ihm %S.10 alles im "Uberflu"s gab. Und ob es gleich nicht sprechen konnte, %S.10 so war es doch so sch"on und lieblich da"s er es von Herzen lieb %S.10 gewann, und sich mit ihm verm"ahlte. %S.10 Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die K"onigin %S.10 einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein in %S.11 ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria und sprach %S.11 {\oqs}willst du nun die Wahrheit sagen und gestehen da"s du die verbotene %S.11 Th"ur aufgeschlossen hast, so will ich dir deinen Mund "offnen %S.11 und dir die Sprache wieder geben: verharrst du aber in der %S.11 S"unde und leugnest hartn"ackig, so nehm ich dein neugebornes %S.11 Kind mit mir.{\cqs} Da war der K"onigin verliehen zu antworten, %S.11 aber sie sprach {\oqs}nein, ich habe die verbotene Th"ur nicht ge"offnet,{\cqs} %S.11 und die Jungfrau Maria nahm das neugeborne Kind ihr aus %S.11 dem Arme und verschwand damit. Am andern Morgen, als %S.11 das Kind nicht zu finden war, gieng ein Gemurmel unter den %S.11 Leuten, die K"onigin w"are eine Menschenfresserin und h"atte ihr %S.11 eigenes Kind umgebracht. Sie h"orte alles, und konnte nichts %S.11 dagegen sagen, der K"onig aber hatte sie zu lieb als da"s ers %S.11 glauben wollte. %S.11 Nach einem Jahr gebar die K"onigin wieder einen Sohn, %S.11 da trat in der Nacht auch wieder die Jungfrau Maria vor sie %S.11 und sprach {\oqs}willst du nun gestehen, da"s du die verbotene Th"ure %S.11 ge"offnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben und deinen %S.11 Mund l"osen: verharrst du aber in der S"unde und leugnest, so %S.11 nehm ich auch dieses neugeborne mit mir.{\cqs} Da sprach die %S.11 K"onigin wiederum {\oqs}nein, ich habe die verbotene Th"ure nicht ge"offnet,{\cqs} %S.11 und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen %S.11 weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute %S.11 h"orten, da"s das Kind abermals verschwunden sey, sagten sie %S.11 laut, die K"onigin h"atte es gegessen, und des K"onigs R"athe verlangten %S.11 da"s sie sollte gerichtet werden. Der K"onig aber hatte %S.12 sie so lieb da"s er es nicht glauben wollte und den R"athen befahl, %S.12 bei Leibes- und Lebensstrafe nichts mehr dar"uber zu sprechen. %S.12 Im dritten Jahre gebar die K"onigin ein sch"ones T"ochterlein, %S.12 da erschien ihr auch wieder Nachts die Jungfrau Maria und %S.12 sprach {\oqs}folge mir.{\cqs} Und sie nahm sie bei der Hand und f"uhrte %S.12 sie in den Himmel, und zeigte ihr da ihre beiden "altesten Kinder, %S.12 die lachten sie an und spielten mit der Weltkugel. Und als %S.12 sich die K"onigin dar"uber freuete, sprach die Jungfrau Maria %S.12 {\oqs}willst du nun eingestehen da"s du die verbotene Th"ur ge"offnet %S.12 hast, so will ich dir deine beiden S"ohnlein zur"uck geben.{\cqs} Die %S.12 K"onigin antwortete zum drittenmal {\oqs}nein, ich habe die verbotene %S.12 Th"ur nicht ge"offnet.{\cqs} Da lie"s sie die Jungfrau wieder zur Erde %S.12 hinabsinken, und nahm ihr auch das dritte Kind. %S.12 Am andern Morgen, als es ruchtbar ward, riefen alle %S.12 Leute laut {\oqs}die K"onigin ist eine Menschenfresserin, sie mu"s verurtheilt %S.12 werden!{\cqs} und der K"onig konnte seine R"athe nicht mehr %S.12 zur"uckweisen. Es wurde ein Gericht "uber sie gehalten, und %S.12 weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward %S.12 sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz %S.12 wurde zusammengetragen, und als sie nun an den Pfahl festgebunden %S.12 war und das Feuer rings umher zu brennen anfieng, %S.12 da ward ihr Herz von Reue bewegt und sie dachte {\oqs}k"onnt ich %S.12 vor meinem Tode gestehen da"s ich die Th"ure ge"offnet habe{\cqs} und %S.12 rief {\oqs}ja, Maria, ich hab es gethan!{\cqs} Und wie der Gedanke in %S.12 ihr Herz kam, da fieng der Himmel an zu regnen und l"oschte %S.12 die Feuerflammen, und "uber ihr brach ein Licht hervor, und %S.13 die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden S"ohnlein %S.13 zu ihren Seiten, das neu geborne T"ochterlein auf dem Arm. %S.13 Sie sprach freundlich zu ihr {\oqs}wer seine S"unde gesteht und bereut, %S.13 dem ist sie vergeben,{\cqs} und reichte ihr die Kinder, l"oste ihr den %S.13 Mund, und gab ihr Gl"uck f"ur das ganze Leben. %S.13 %\vspace{4\baselineskip} %\divisionbar %S.13 %% %% ============================================================ %% Liste der im Originaltext enthaltenen zu korrigierenden %% W"orter, Interpunktions- und Anf"uhrungszeichen, usw. %% ============================================================ %% Seite 8, Zeile 14 %% [falsch] %% wir durch den Ritz sehen.{\cqs} {\oqs}Ach nein, sagten die Englein, %S.8 %% [richtig] %% wir durch den Ritz sehen.{\cqs} {\oqs}Ach nein,{\cqs} sagten die Englein, %S.8 %% %% Seite 8, Zeile 15 %% [falsch] %% das w"ar S"unde: die Jungfrau Maria hats verboten, und es %S.8 %% [richtig] %% {\oqs}das w"ar S"unde: die Jungfrau Maria hats verboten, und es %S.8 %% %% Seite 9, Zeile 19 %% [falsch] %% gelogen, du bist nicht mehr w"urdig im Himmel zu seyn.{\oqs} %S.9 %% [richtig] %% gelogen, du bist nicht mehr w"urdig im Himmel zu seyn.{\cqs} %S.9 %%