% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1991", % volume = "2", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3192 [6]", % isbn = "3-15-003192-3", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1991" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von M. Hirao, am 24. M"arz 2001 % und "uberpr"uft von Y. Nagata am 31. M"arz 2001 % \maerchentitel{KHM 195: Der Grabh"ugel} \markright{KHM 195: Der Grabh"ugel} Ein reicher Bauer stand eines Tags in seinem Hof und %S.409 schaute nach seinen Feldern und G"arten: das Korn %S.409 wuchs kr"aftig heran, und die Obstb"aume hingen voll %S.409 Fr"uchte. Das Getreide des vorigen Jahrs lag noch in so %S.409 m"achtigen Haufen auf dem Boden, da"s es kaum die %S.409 Balken tragen konnten. Dann ging er in den Stall, da %S.409 standen die gem"asteten Ochsen, die fetten K"uhe und die %S.409 spiegelglatten Pferde. Endlich ging er in seine Stube %S.409 zur"uck und warf seine Blicke auf die eisernen Kasten, in %S.409 welchen sein Geld lag. Als er so stand und seinen Reichtum %S.409 "ubersah, klopfte es auf einmal heftig bei ihm an. Es %S.409 klopfte aber nicht an die T"ure seiner Stube, sondern an %S.409 die T"ure seines Herzens. Sie tat sich auf, und er h"orte %S.409 eine Stimme, die zu ihm sprach: >>Hast du den Deinigen %S.409 damit wohlgetan? Hast du die Not der Armen angesehen? %S.409 Hast du mit den Hungrigen dein Brot geteilt? War %S.409 dir genug, was du besa"sest, oder hast du noch immer %S.409 mehr verlangt?<< Das Herz z"ogerte nicht mit der Antwort: %S.409 >>Ich bin hart und unerbittlich gewesen und habe %S.409 den Meinigen niemals etwas Gutes erzeigt. Ist ein Armer %S.409 gekommen, so habe ich mein Auge weggewendet. Ich %S.409 habe mich um Gott nicht bek"ummert, sondern nur an die %S.409 Mehrung meines Reichtums gedacht. W"are alles mein %S.410 eigen gewesen, was der Himmel bedeckte, dennoch h"atte %S.410 ich nicht genug gehabt.<< Als er diese Antwort vernahm, %S.410 erschrak er heftig: die Knie fingen an, ihm zu zittern, %S.410 und er mu"ste sich niedersetzen. Da klopfte es abermals %S.410 an, aber es klopfte an die T"ure seiner Stube. Es war sein %S.410 Nachbar, ein armer Mann, der ein H"aufchen Kinder %S.410 hatte, die er nicht mehr s"attigen konnte. >>Ich wei"s<<, %S.410 dachte der Arme, >>mein Nachbar ist reich, aber er ist %S.410 ebenso hart: ich glaube nicht, da"s er mir hilft, aber meine %S.410 Kinder schreien nach Brot, da will ich es wagen.<< Er %S.410 sprach zu dem Reichen: >>Ihr gebt nicht leicht etwas von %S.410 dem Eurigen weg, aber ich stehe da wie einer, dem das %S.410 Wasser bis an den Kopf geht: meine Kinder hungern, %S.410 leiht mir vier Malter Korn.<< Der Reiche sah ihn lange an, %S.410 da begann der erste Sonnenstrahl der Milde einen Tropfen %S.410 von dem Eis der Habsucht abzuschmelzen. >>Vier %S.410 Malter will ich dir nicht leihen<<, antwortete er, >>sondern %S.410 achte will ich dir schenken, aber eine Bedingung mu"st du %S.410 erf"ullen.<< >>Was soll ich tun?<< sprach der Arme. >>Wenn %S.410 ich tot bin, sollst du drei N"achte an meinem Grabe %S.410 wachen.<< Dem Bauer ward bei dem Antrag unheimlich %S.410 zumut, doch in der Not, in der er sich befand, h"atte er %S.410 alles bewilligt; er sagte also zu und trug das Korn %S.410 heim. %S.410 Es war, als h"atte der Reiche vorausgesehen, was geschehen %S.410 w"urde, nach drei Tagen fiel er pl"otzlich tot zur Erde; %S.410 man wu"ste nicht recht, wie es zugegangen war, aber %S.410 niemand trauerte um ihn. Als er bestattet war, fiel dem %S.410 Armen sein Versprechen ein; gerne w"are er davon entbunden %S.410 gewesen, aber er dachte: >>Er hat sich gegen dich %S.410 doch mildt"atig erwiesen, du hast mit seinem Korn deine %S.410 hungrigen Kinder ges"attigt, und w"are das auch nicht, du %S.410 hast einmal das Versprechen gegeben und mu"st du es %S.410 halten.<< Bei einbrechender Nacht ging er auf den Kirchhof %S.410 und setzte sich auf den Grabh"ugel. Es war alles still, %S.410 nur der Mond schien "uber die Grabh"ugel, und manchmal %S.411 flog eine Eule vorbei und lie"s ihre kl"aglichen T"one %S.411 h"oren. Als die Sonne aufging, begab sich der Arme %S.411 ungef"ahrdet heim, und ebenso ging die zweite Nacht %S.411 ruhig vor"uber. Den Abend des dritten Tags empfand er %S.411 eine besondere Angst, es war ihm, als st"ande noch etwas %S.411 bevor. Als er hinauskam, erblickte er an der Mauer des %S.411 Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er %S.411 war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht, und seine %S.411 Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz %S.411 von einem alten Mantel bedeckt, und nur gro"se Reiterstiefeln %S.411 waren sichtbar. >>Was sucht Ihr hier?<< redete ihn %S.411 der Bauer an, >>gruselt Euch nicht auf dem einsamen %S.411 Kirchhof?<< >>Ich suche nichts<<, antwortete er, >>aber ich %S.411 f"urchte auch nichts. Ich bin wie der Junge, der ausging, %S.411 das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich bem"uhte, der %S.411 aber bekam die K"onigstochter zur Frau und mit ihr %S.411 gro"se Reicht"umer, und ich bin immer arm geblieben. Ich %S.411 bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die %S.411 Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe.<< %S.411 >>Wenn Ihr keine Furcht habt<<, sprach der Bauer, >>so %S.411 bleibt bei mir und helft mir dort den Grabh"ugel bewachen.<< %S.411 >>Wacht halten ist Sache des Soldaten<<, antwortete %S.411 er, >>was uns hier begegnet, Gutes oder B"oses, das wollen %S.411 wir gemeinschaftlich tragen.<< Der Bauer schlug ein, und %S.411 sie setzten sich zusammen auf das Grab. %S.411 Alles blieb still bis Mitternacht, da ert"onte auf einmal ein %S.411 schneidendes Pfeifen in der Luft, und die beiden W"achter %S.411 erblickten den B"osen, der leibhaftig vor ihnen stand. %S.411 >>Fort, ihr Halunken<<, rief er ihnen zu, >>der in dem Grab %S.411 liegt, ist mein: ich will ihn holen, und wo ihr nicht %S.411 weggeht, dreh ich euch die H"alse um.<< >>Herr mit der %S.411 roten Feder<<, sprach der Soldat, >>Ihr seid mein Hauptmann %S.411 nicht, ich brauch Euch nicht zu gehorchen, und %S.411 das F"urchten hab ich noch nicht gelernt. Geht Eurer %S.411 Wege, wir bleiben hier sitzen.<< Der Teufel dachte: >>Mit %S.411 Gold f"angst du die zwei Haderlumpen am besten<<, zog %S.412 gelindere Saiten auf und fragte ganz zutraulich, ob sie %S.412 nicht einen Beutel mit Gold annehmen und damit heimgehen %S.412 wollten. >>Das l"a"st sich h"oren<<, antwortete der %S.412 Soldat, >>aber mit \emph{einem} Beutel voll Gold ist uns nicht %S.412 gedient: wenn Ihr so viel Gold geben wollt, als da in %S.412 einen von meinen Stiefeln geht, so wollen wir Euch das %S.412 Feld r"aumen und abziehen.<< >>So viel habe ich nicht bei %S.412 mir<<, sagte der Teufel, >>aber ich will es holen; in der %S.412 benachbarten Stadt wohnt ein Wechsler, der mein guter %S.412 Freund ist, der streckt mir gerne so viel vor.<< Als der %S.412 Teufel verschwunden war, zog der Soldat seinen linken %S.412 Stiefel aus und sprach: >>Dem Kohlenbrenner wollen wir %S.412 schon eine Nase drehen; gebt mir nur Euer Messer, %S.412 Gevatter.<< Er schnitt von dem Stiefel die Sohle ab und %S.412 stellte ihn neben den H"ugel in das hohe Gras an den %S.412 Rand einer halb "uberwachsenen Grube. >>So ist alles %S.412 gut<<, sprach er, >>nun kann der Schornsteinfeger %S.412 kommen.<< %S.412 Beide setzten sich und warteten, es dauerte nicht lange, %S.412 so kam der Teufel und hatte ein S"ackchen Gold in der %S.412 Hand. >>Sch"uttet es nur hinein<<, sprach der Soldat und %S.412 hob den Stiefel ein wenig in die H"ohe, >>das wird aber %S.412 nicht genug sein.<< Der Schwarze leerte das S"ackchen, das %S.412 Gold fiel durch, und der Stiefel blieb leer. >>Dummer %S.412 Teufel<<, rief der Soldat, >>es schickt nicht: habe ich es %S.412 nicht gleich gesagt? Kehrt nur wieder um und holt %S.412 mehr.<< Der Teufel sch"uttelte den Kopf, ging und kam %S.412 nach einer Stunde mit einem viel gr"o"seren Sack unter %S.412 dem Arm. >>Nur eingef"ullt<<, rief der Soldat, >>aber ich %S.412 zweifle, da"s der Stiefel voll wird.<< Das Gold klingelte, %S.412 als es hinabfiel, und der Stiefel blieb leer. Der Teufel %S.412 blickte mit seinen gl"uhenden Augen selbst hinein und %S.412 "uberzeugte sich von der Wahrheit. >>Ihr habt unversch"amt %S.412 starke Waden<<, rief er und verzog den Mund. %S.412 >>Meint Ihr<<, erwiderte der Soldat, >>ich h"atte einen Pferdefu"s %S.412 wie Ihr? Seit wann seid Ihr so knauserig? Macht, %S.413 da"s Ihr mehr Gold herbeischafft, sonst wird aus unserm %S.413 Handel nichts.<< Der Unhold trollte sich abermals fort. %S.413 Diesmal blieb er l"anger aus, und als er endlich erschien, %S.413 keuchte er unter der Last eines Sackes, der auf seiner %S.413 Schulter lag. Er sch"uttete ihn in den Stiefel, der sich %S.413 aber so wenig f"ullte als vorher. Er ward w"utend und %S.413 wollte dem Soldat den Stiefel aus der Hand rei"sen, aber %S.413 in dem Augenblick drang der erste Strahl der aufgehenden %S.413 Sonne am Himmel herauf, und der b"ose Geist entfloh %S.413 mit lautem Geschrei. Die arme Seele war gerettet. %S.413 Der Bauer wollte das Gold teilen, aber der Soldat sprach: %S.413 >>Gib den Armen, was mir zuf"allt: ich ziehe zu dir in %S.413 deine H"utte, und wir wollen mit dem "ubrigen in Ruhe %S.413 und Frieden zusammenleben, solange es Gott gef"allt.<< %S.413