% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1991", % volume = "2", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3192 [6]", % isbn = "3-15-003192-3", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1991" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von A. Ueno, am 31. M"arz 2001 % und "uberpr"uft von Y. Nagata am 1. April 2001 % \maerchentitel{KHM 169: Das Waldhaus} \markright{KHM 169: Das Waldhaus} Ein armer Holzhauer lebte mit seiner Frau und drei %S.313 T"ochtern in einer kleinen H"utte an dem Rande eines %S.313 einsamen Waldes. Eines Morgens, als er wieder an seine %S.313 Arbeit wollte, sagte er zu seiner Frau: >>La"s mir mein %S.313 Mittagsbrot von dem "altesten M"adchen hinaus in den %S.313 Wald bringen, ich werde sonst nicht fertig. Und damit es %S.313 sich nicht verirrt<<, setzte er hinzu, >>so will ich einen %S.313 Beutel mit Hirsen mitnehmen und die K"orner auf den %S.313 Weg streuen.<< Als nun die Sonne mitten "uber dem Walde %S.313 stand, machte sich das M"adchen mit einem Topf voll %S.313 Suppe auf den Weg. Aber die Feld- und Waldsperlinge, %S.313 die Lerchen und Finken, Amseln und Zeisige hatten den %S.313 Hirsen schon l"angst aufgepickt, und das M"adchen %S.313 konnte die Spur nicht finden. Da ging es auf gut Gl"uck %S.313 immer fort, bis die Sonne sank und die Nacht einbrach. %S.313 Die B"aume rauschten in der Dunkelheit, die Eulen %S.313 schnarrten, und es fing an, ihm angst zu werden. Da %S.313 erblickte es in der Ferne ein Licht, das zwischen den %S.313 B"aumen blinkte. >>Dort sollten wohl Leute wohnen<<, %S.314 dachte es, >>die mich "uber Nacht behalten<<, und ging auf %S.314 das Licht zu. Nicht lange, so kam es an ein Haus, dessen %S.314 Fenster erleuchtet waren. Es klopfte an, und eine rauhe %S.314 Stimme rief von innen: >>Herein.<< Das M"adchen trat auf %S.314 die dunkle Diele und pochte an der Stubent"ur. >>Nur %S.314 herein<<, rief die Stimme, und als es "offnete, sa"s da ein %S.314 alter, eisgrauer Mann an dem Tisch, hatte das Gesicht auf %S.314 die beiden H"ande gest"utzt, und sein wei"ser Bart flo"s %S.314 "uber den Tisch herab fast bis auf die Erde. Am Ofen aber %S.314 lagen drei Tiere, ein H"uhnchen, ein H"ahnchen und eine %S.314 buntgescheckte Kuh. Das M"adchen erz"ahlte dem Alten %S.314 sein Schicksal und bat um ein Nachtlager. Der Mann %S.314 sprach: %S.314 \begin{verse} >>Sch"on H"uhnchen, \\ %S.314 sch"on H"ahnchen, \\ %S.314 und du, sch"one bunte Kuh, \\ %S.314 was sagst du dazu?<< %S.314 \end{verse} >>Duks!<< antworteten die Tiere, und das mu"ste wohl %S.314 hei"sen: >>Wir sind es zufrieden<<, denn der Alte sprach %S.314 weiter: >>Hier ist H"ulle und F"ulle, geh hinaus an den %S.314 Herd und koch uns ein Abendessen.<< Das M"adchen %S.314 fand in der K"uche "Uberflu"s an allem und kochte eine %S.314 gute Speise, aber an die Tiere dachte es nicht. Es trug %S.314 die volle Sch"ussel auf den Tisch, setzte sich zu dem %S.314 grauen Mann, a"s und stillte seinen Hunger. Als es satt %S.314 war, sprach es: >>Aber jetzt bin ich m"ude, wo ist ein %S.314 Bett, in das ich mich legen und schlafen kann?<< Die %S.314 Tiere antworteten: %S.314 \begin{verse} >>Du hast mit ihm gegessen, \\ %S.314 du hast mit ihm getrunken, \\ %S.314 du hast an uns gar nicht gedacht, \\ %S.314 nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht.<< %S.314 \end{verse} Da sprach der Alte: >>Steig nur die Treppe hinauf, so %S.314 wirst du eine Kammer mit zwei Betten finden, sch"uttle %S.314 sie auf und decke sie mit wei"sem Linnen, so will ich auch %S.314 kommen und mich schlafen legen.<< Das M"adchen stieg %S.315 hinauf, und als es die Betten gesch"uttelt und frisch %S.315 gedeckt hatte, legte es sich in das eine, ohne weiter auf %S.315 den Alten zu warten. Nach einiger Zeit aber kam der %S.315 graue Mann, beleuchtete das M"adchen mit dem Licht %S.315 und sch"uttelte mit dem Kopf. Und als er sah, da"s es fest %S.315 eingeschlafen war, "offnete er eine Fallt"ure und lie"s es in %S.315 den Keller sinken. %S.315 Der Holzhauer kam am sp"aten Abend nach Haus und %S.315 machte seiner Frau Vorw"urfe, da"s sie ihn den ganzen %S.315 Tag habe hungern lassen. >>Ich habe keine Schuld<<, antwortete %S.315 sie, >>das M"adchen ist mit dem Mittagsessen %S.315 hinausgegangen, es mu"s sich verirrt haben: morgen wird %S.315 es schon wiederkommen.<< Vor Tag aber stand der Holzhauer %S.315 auf, wollte in den Wald und verlangte, die zweite %S.315 Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. >>Ich will %S.315 einen Beutel mit Linsen mitnehmen<<, sagte er, >>die %S.315 K"orner sind gr"o"ser als Hirsen, das M"adchen wird sie %S.315 besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.<< Zur %S.315 Mittagszeit trug auch das M"adchen die Speise hinaus, %S.315 aber die Linsen waren verschwunden: die Waldv"ogel %S.315 hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine %S.315 "ubriggelassen. Das M"adchen irrte im Walde umher, bis %S.315 es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des %S.315 Alten, ward hereingerufen und bat um Speise und %S.315 Nachtlager. Der Mann mit dem wei"sen Barte fragte %S.315 wieder die Tiere: %S.315 \begin{verse} >>Sch"on H"uhnchen, \\ %S.315 sch"on H"ahnchen, \\ %S.315 und du, sch"one bunte Kuh, \\ %S.315 was sagst du dazu?<< %S.315 \end{verse} Die Tiere antworteten abermals: >>Duks<<, und es geschah %S.315 alles wie am vorigen Tag. Das M"adchen kochte eine gute %S.315 Speise, a"s und trank mit dem Alten und k"ummerte sich %S.315 nicht um die Tiere. Und als es sich nach seinem Nachtlager %S.315 erkundigte, antworteten sie: %S.315 \begin{verse} >>Du hast mit ihm gegessen, \\ %S.316 du hast mit ihm getrunken, \\ %S.316 du hast an uns gar nicht gedacht, \\ %S.316 nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht.<< %S.316 \end{verse} Als es eingeschlafen war, kam der Alte, betrachtete es %S.316 mit Kopfsch"utteln und lie"s es in den Keller hinab. %S.316 Am dritten Morgen sprach der Holzhacker zu seiner %S.316 Frau: >>Schicke mir heute unser j"ungstes Kind mit dem %S.316 Essen hinaus, das ist immer gut und gehorsam gewesen, %S.316 das wird auf dem rechten Weg bleiben und nicht wie %S.316 seine Schwestern, die wilden Hummeln, herumschw"armen.<< %S.316 Die Mutter wollte nicht und sprach: >>Soll ich %S.316 mein liebstes Kind auch noch verlieren?<< >>Sei ohne %S.316 Sorge<<, antwortete er, >>das M"adchen verirrt sich nicht, %S.316 es ist zu klug und verst"andig; zum "Uberflu"s will ich %S.316 Erbsen mitnehmen und ausstreuen, die sind noch gr"o"ser %S.316 als Linsen und werden ihm den Weg zeigen.<< Aber als %S.316 das M"adchen mit dem Korb am Arm hinauskam, so %S.316 hatten die Waldtauben die Erbsen schon im Kropf, und %S.316 es wu"ste nicht, wohin es sich wenden sollte. Es war voll %S.316 Sorgen und dachte best"andig daran, wie der arme Vater %S.316 hungern und die gute Mutter jammern w"urde, wenn es %S.316 ausbliebe. Endlich, als es finster ward, erblickte es das %S.316 Lichtchen und kam an das Waldhaus. Es bat ganz %S.316 freundlich, sie m"ochten es "uber Nacht beherbergen, und %S.316 der Mann mit dem wei"sen Bart fragte wieder seine %S.316 Tiere: %S.316 \begin{verse} >>Sch"on H"uhnchen, \\ %S.316 sch"on H"ahnchen, \\ %S.316 und du, sch"one bunte Kuh, \\ %S.316 was sagst du dazu?<< %S.316 \end{verse} >>Duks<<, sagten sie. Da trat das M"adchen an den Ofen, %S.316 wo die Tiere lagen, und liebkoste H"uhnchen und H"ahnchen, %S.316 indem es mit der Hand "uber die glatten Federn %S.316 hinstrich, und die bunte Kuh kraute es zwischen den %S.316 H"ornern. Und als es auf Gehei"s des Alten eine gute %S.316 Suppe bereitet hatte und die Sch"ussel auf dem Tisch %S.317 stand, so sprach es: >>Soll ich mich s"attigen, und die guten %S.317 Tiere sollen nichts haben? Drau"sen ist die H"ulle und %S.317 F"ulle, erst will ich f"ur sie sorgen.<< Da ging es, holte %S.317 Gerste und streute sie dem H"uhnchen und H"ahnchen vor %S.317 und brachte der Kuh wohlriechendes Heu einen ganzen %S.317 Arm voll. >>La"sts euch schmecken, ihr lieben Tiere<<, %S.317 sagte es, >>und wenn ihr durstig seid, sollt ihr auch einen %S.317 frischen Trunk haben.<< Dann trug es einen Eimer voll %S.317 Wasser herein, und H"uhnchen und H"ahnchen sprangen %S.317 auf den Rand, steckten den Schnabel hinein und hielten %S.317 den Kopf dann in die H"ohe, wie die V"ogel trinken, und %S.317 die bunte Kuh tat auch einen herzhaften Zug. Als die %S.317 Tiere gef"uttert waren, setzte sich das M"adchen zu dem %S.317 Alten an den Tisch und a"s, was er ihm "ubriggelassen %S.317 hatte. Nicht lange, so fing H"uhnchen und H"ahnchen an, %S.317 das K"opfchen zwischen die Fl"ugel zu stecken, und die %S.317 bunte Kuh blinzelte mit den Augen. Da sprach das %S.317 M"adchen: >>Sollen wir uns nicht zur Ruhe begeben? %S.317 \begin{verse} Sch"on H"uhnchen, \\ %S.317 sch"on H"ahnchen, \\ %S.317 und du, sch"one bunte Kuh, \\ %S.317 was sagst du dazu?<< %S.317 \end{verse} Die Tiere antworteten: >>Duks, %S.317 \begin{verse} du hast mit uns gegessen, \\ %S.317 du hast mit uns getrunken, \\ %S.317 du hast uns alle wohl bedacht, \\ %S.317 wir w"unschen dir eine gute Nacht.<< %S.317 \end{verse} Da ging das M"adchen die Treppe hinauf, sch"uttelte die %S.317 Federkissen und deckte frisches Linnen auf, und als es %S.317 fertig war, kam der Alte und legte sich in das eine Bett, %S.317 und sein wei"ser Bart reichte ihm bis an die F"u"se. Das %S.317 M"adchen legte sich in das andere, tat sein Gebet und %S.317 schlief ein. %S.317 Es schlief ruhig bis Mitternacht, da ward es so unruhig in %S.317 dem Hause, da"s das M"adchen erwachte. Da fing es an, in %S.317 den Ecken zu knittern und zu knattern, und die T"ure %S.318 sprang auf und schlug an die Wand: die Balken dr"ohnten, %S.318 als wenn sie aus ihren Fugen gerissen w"urden, und es %S.318 war, als wenn die Treppe herabst"urzte, und endlich %S.318 krachte es, als wenn das ganze Dach zusammenfiele. Da %S.318 es aber wieder still ward und dem M"adchen nichts zuleid %S.318 geschah, so blieb es ruhig liegen und schlief wieder ein. %S.318 Als es aber am Morgen bei hellem Sonnenschein aufwachte, %S.318 was erblickten seine Augen? Es lag in einem %S.318 gro"sen Saal, und ringsumher gl"anzte alles in k"oniglicher %S.318 Pracht: an den W"anden wuchsen auf gr"unseidenem %S.318 Grund goldene Blumen in die H"ohe, das Bett war von %S.318 Elfenbein und die Decke darauf von rotem Samt, und auf %S.318 einem Stuhl daneben standen ein paar mit Perlen %S.318 gestickte Pantoffel. Das M"adchen glaubte, es w"are ein %S.318 Traum, aber es traten drei reichgekleidete Diener herein %S.318 und fragten, was es zu befehlen h"atte. >>Geht nur<<, %S.318 antwortete das M"adchen, >>ich will gleich aufstehen und %S.318 dem Alten eine Suppe kochen und dann auch sch"on %S.318 H"uhnchen, sch"on H"ahnchen und die sch"one bunte Kuh %S.318 f"uttern.<< Es dachte, der Alte w"are schon aufgestanden, %S.318 und sah sich nach seinem Bette um, aber er lag nicht %S.318 darin, sondern ein fremder Mann. Und als es ihn %S.318 betrachtete und sah, da"s er jung und sch"on war, %S.318 erwachte er, richtete sich auf und sprach: >>Ich bin ein %S.318 K"onigssohn und war von einer b"osen Hexe verw"unscht %S.318 worden, als ein alter, eisgrauer Mann in dem Wald zu %S.318 leben; niemand durfte um mich sein als meine drei %S.318 Diener in der Gestalt eines H"uhnchens, eines H"ahnchens %S.318 und einer bunten Kuh. Und nicht eher sollte die Verw"unschung %S.318 aufh"oren, als bis ein M"adchen zu uns k"ame, %S.318 so gut von Herzen, da"s es nicht gegen die Menschen %S.318 allein, sondern auch gegen die Tiere sich liebreich %S.318 bezeigte, und das bist du gewesen, und heute um Mitternacht %S.318 sind wir durch dich erl"ost und das alte Waldhaus %S.318 ist wieder in meinen k"oniglichen Palast verwandelt worden.<< %S.318 Und als sie aufgestanden waren, sagte der K"onigssohn %S.319 den drei Dienern, sie sollten hinfahren und Vater %S.319 und Mutter des M"adchens zur Hochzeitsfeier herbeiholen. %S.319 >>Aber wo sind meine zwei Schwestern?<< fragte das %S.319 M"adchen. >>Die habe ich in den Keller gesperrt, und %S.319 morgen sollen sie in den Wald gef"uhrt werden und sollen %S.319 bei einem K"ohler so lange als M"agde dienen, bis sie sich %S.319 gebessert haben und auch die armen Tiere nicht hungern %S.319 lassen.<< %S.319