% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1991", % volume = "2", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3192 [6]", % isbn = "3-15-003192-3", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1991" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von Y. Nagata, am 13. Februar 2001 % \maerchentitel{KHM 107: Die beiden Wanderer} \markright{KHM 107: Die beiden Wanderer} Berg und Tal begegnen sich nicht, wohl aber die Menschenkinder, %S.106 zumal gute und b"ose. So kam auch einmal %S.106 ein Schuster und ein Schneider auf der Wanderschaft %S.106 zusammen. Der Schneider war ein kleiner, h"ubscher Kerl %S.106 und war immer lustig und guter Dinge. Er sah den %S.106 Schuster von der andern Seite herankommen, und da er %S.106 an seinem Felleisen merkte, was er f"ur ein Handwerk %S.106 trieb, rief er ihm ein Spottliedchen zu: %S.106 \begin{verse} >>N"ahe mir die Naht, \\ %S.106 ziehe mir den Draht, \\ %S.106 streich ihn rechts und links mit Pech, \\ %S.106 schlag, schlag mir fest den Zweck.<< %S.106 \end{verse} Der Schuster aber konnte keinen Spa"s vertragen, er %S.106 verzog ein Gesicht, als wenn er Essig getrunken h"atte, %S.106 und machte Miene, das Schneiderlein am Kragen zu %S.106 packen. Der kleine Kerl fing aber an zu lachen, reichte %S.106 ihm seine Flasche und sprach: >>Es ist nicht b"os gemeint, %S.106 trink einmal und schluck die Galle hinunter.<< Der Schuster %S.106 tat einen gewaltigen Schluck, und das Gewitter auf %S.106 seinem Gesicht fing an, sich zu verziehen. Er gab dem %S.106 Schneider die Flasche zur"uck und sprach: >>Ich habe ihr %S.106 ordentlich zugesprochen, man sagt wohl vom vielen %S.106 Trinken, aber nicht vom gro"sen Durst. Wollen wir %S.106 zusammen wandern?<< >>Mir ist's recht<<, antwortete der %S.106 Schneider, >>wenn du nur Lust hast, in eine gro"se Stadt %S.106 zu gehen, wo es nicht an Arbeit fehlt.<< >>Gerade dahin %S.106 wollte ich auch<<, antwortete der Schuster, >>in einem %S.106 kleinen Nest ist nichts zu verdienen, und auf dem Lande %S.106 gehen die Leute lieber barfu"s.<< Sie wanderten also %S.106 zusammen weiter und setzten immer einen Fu"s vor den %S.106 andern wie die Wiesel im Schnee. %S.106 Zeit genug hatten sie beide, aber wenig zu bei"sen und %S.106 zu brechen. Wenn sie in eine Stadt kamen, so gingen %S.107 sie umher und gr"u"sten das Handwerk, und weil das %S.107 Schneiderlein so frisch und munter aussah und so %S.107 h"ubsche rote Backen hatte, so gab ihm jeder gerne, %S.107 und wenn das Gl"uck gut war, so gab ihm die Meistertochter %S.107 unter der Haust"ure auch noch einen Ku"s auf %S.107 den Weg. Wenn er mit dem Schuster wieder zusammentraf, %S.107 so hatte er immer mehr in seinem B"undel. %S.107 Der griesgr"amige Schuster schnitt ein schiefes Gesicht %S.107 und meinte: >>Je gr"o"ser der Schelm, je gr"o"ser das %S.107 Gl"uck.<< Aber der Schneider fing an zu lachen und zu %S.107 singen und teilte alles, was er bekam, mit seinem %S.107 Kameraden. Klingelten nun ein paar Groschen in %S.107 seiner Tasche, so lie"s er auftragen, schlug vor Freude %S.107 auf den Tisch, da"s die Gl"aser tanzten, und es hie"s bei %S.107 ihm: >>Leicht verdient und leicht vertan.<< %S.107 Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an %S.107 einen gro"sen Wald, durch welchen der Weg nach der %S.107 K"onigsstadt ging. Es f"uhrten aber zwei Fu"ssteige %S.107 hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der %S.107 andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen %S.107 wu"ste, welcher der K"urzere Weg war. Die zwei %S.107 Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und %S.107 ratschlagten, wie sie sich vorsehen und f"ur wieviel %S.107 Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster %S.107 sagte: >>Man mu"s weiter denken, als man geht, ich %S.107 will f"ur sieben Tage Brot mitnehmen.<< >>Was<<, sagte %S.107 der Schneider, >>f"ur sieben Tage Brot auf dem R"ucken %S.107 schleppen wie ein Lasttier und sich nicht %S.107 umschauen? Ich halte mich an Gott und kehre mich %S.107 an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das %S.107 ist im Sommer so gut als im Winter, aber das Brot %S.107 wird in der hei"sen Zeit trocken und obendrein %S.107 schimmelig. Mein Rock geht auch nicht l"anger als auf %S.107 die Kn"ochel. Warum sollen wir den richtigen Weg %S.107 nicht finden? F"ur zwei Tage Brot und damit gut.<< Es %S.107 kaufte sich also ein jeder sein Brot, und dann gingen sie %S.108 auf gut Gl"uck in den Wald hinein. %S.108 In dem Wald war es so still wie in einer Kirche. Kein %S.108 Wind wehte, kein Bach rauschte, kein Vogel sang, und %S.108 durch die dichtbelaubten "Aste drang kein Sonnenstrahl. %S.108 Der Schuster sprach kein Wort, ihn dr"uckte das schwere %S.108 Brot auf dem R"ucken, da"s ihm der Schwei"s "uber sein %S.108 verdrie"sliches und finsteres Gesicht herabflo"s. Der %S.108 Schneider aber war ganz munter, sprang daher, pfiff auf %S.108 einem Blatt oder sang ein Liedchen und dachte: >>Gott im %S.108 Himmel mu"s sich freuen, da"s ich so lustig bin.<< Zwei %S.108 Tage ging das so fort, aber als am dritten Tag der Wald %S.108 kein Ende nehmen wollte und der Schneider sein Brot %S.108 aufgegessen hatte, so fiel ihm das Herz doch eine Elle %S.108 tiefer herab; indessen verlor er nicht den Mut, sondern %S.108 verlie"s sich auf Gott und auf sein Gl"uck. Den dritten Tag %S.108 legte er sich abends hungrig unter einen Baum und stieg %S.108 den andern Morgen hungrig wieder auf. So ging es auch %S.108 den vierten Tag, und wenn der Schuster sich auf einen %S.108 umgest"urzten Baum setzte und seine Mahlzeit verzehrte, %S.108 so blieb dem Schneider nichts als das Zusehen. Bat er um %S.108 ein St"uckchen Brot, so lachte der andere h"ohnisch und %S.108 sagte: >>Du bist immer so lustig gewesen, da kannst du %S.108 auch einmal versuchen, wie's tut, wenn man unlustig ist: %S.108 die V"ogel, die morgens zu fr"uh singen, die st"o"st abends %S.108 der Habicht<<, kurz, er war ohne Barmherzigkeit. Aber %S.108 am f"unften Morgen konnte der arme Schneider nicht %S.108 mehr aufstehen und vor Mattigkeit kaum ein Wort herausbringen; %S.108 die Backen waren ihm wei"s und die Augen %S.108 rot. Da sagte der Schuster zu ihm: >>Ich will dir heute ein %S.108 St"uck Brot geben, aber daf"ur will ich dir dein rechtes %S.108 Auge ausstechen.<< Der ungl"uckliche Schneider, der doch %S.108 gerne sein Leben erhalten wollte, konnte sich nicht %S.108 anders helfen: er weinte noch einmal mit beiden Augen %S.108 und hielt sie dann hin, und der Schuster, der ein %S.108 Herz von Stein hatte, stach ihm mit einem scharfen %S.109 Messer das rechte Auge aus. Dem Schneider kam in den %S.109 Sinn, was ihm sonst seine Mutter gesagt hatte, wenn er in %S.109 der Speisekammer genascht hatte: >>Essen, soviel man %S.109 mag, und leiden, was man mu"s.<< Als er sein teuer %S.109 bezahltes Brot verzehrt hatte, machte er sich wieder auf %S.109 die Beine, verga"s sein Ungl"uck und tr"ostete sich damit, %S.109 da"s er mit einem Auge noch immer genug sehen k"onnte. %S.109 Aber am sechsten Tag meldete sich der Hunger aufs neue %S.109 und zehrte ihm fast das Herz auf. Er fiel abends bei %S.109 einem Baum nieder, und am siebenten Morgen konnte er %S.109 sich vor Mattigkeit nicht erheben, und der Tod sa"s ihm %S.109 im Nacken. Da sagte der Schuster: >>Ich will Barmherzigkeit %S.109 aus"uben und dir nochmals Brot geben; umsonst %S.109 bekommst du es nicht, ich steche dir daf"ur das andere %S.109 Auge noch aus.<< Da erkannte der Schneider sein leichtsinniges %S.109 Leben, bat den lieben Gott um Verzeihung und %S.109 sprach: >>Tue, was du mu"st, ich will leiden, was ich %S.109 mu"s; aber bedenke, da"s unser Herrgott nicht jeden %S.109 Augenblick richtet und da"s eine andere Stunde kommt, %S.109 wo die b"ose Tat vergolten wird, die du an mir ver"ubst %S.109 und die ich nicht an dir verdient habe. Ich habe in guten %S.109 Tagen mit dir geteilt, was ich hatte. Mein Handwerk ist %S.109 der Art, da"s Stich mu"s Stich vertreiben. Wenn ich keine %S.109 Augen mehr habe und nicht mehr n"ahen kann, so mu"s %S.109 ich betteln gehen. La"s mich nur, wenn ich blind bin, %S.109 hier nicht allein liegen, sonst mu"s ich verschmachten.<< %S.109 Der Schuster aber, der Gott aus seinem Herzen vertrieben %S.109 hatte, nahm das Messer und stach ihm noch das %S.109 linke Auge aus. Dann gab er ihm ein St"uck Brot zu %S.109 essen, reichte ihm einen Stock und f"uhrte ihn hinter sich %S.109 her. %S.109 Als die Sonne unterging, kamen sie aus dem Wald, und %S.109 vor dem Wald auf dem Feld stand ein Galgen. Dahin %S.109 leitete der Schuster den blinden Schneider, lie"s ihn dann %S.109 liegen und ging seiner Wege. Vor M"udigkeit, Schmerz %S.109 und Hunger schlief der Ungl"uckliche ein und schlief die %S.110 ganze Nacht. Als der Tag d"ammerte, erwachte er, wu"ste %S.110 aber nicht, wo er lag. An dem Galgen hingen zwei arme %S.110 S"under, und auf dem Kopfe eines jeden sa"s eine Kr"ahe. %S.110 Da fing der eine an zu sprechen: >>Bruder, wachst du?<< %S.110 >>Ja, ich wache<<, antwortete der zweite. >>So will ich dir %S.110 etwas sagen<<, fing der erste wieder an, >>der Tau, der %S.110 heute nacht "uber uns vom Galgen herabgefallen ist, der %S.110 gibt jedem, der sich damit w"ascht, die Augen wieder. %S.110 Wenn das die Blinden w"u"sten, wie mancher k"onnte sein %S.110 Gesicht wieder haben, der nicht glaubt, da"s das m"oglich %S.110 sei.<< Als der Schneider das h"orte, nahm er sein Taschentuch, %S.110 dr"uckte es auf das Gras, und als es mit dem Tau %S.110 befeuchtet war, wusch er seine Augenh"ohlen damit. %S.110 Alsbald ging in Erf"ullung, was der Gehenkte gesagt %S.110 hatte, und ein paar frische und gesunde Augen f"ullten die %S.110 H"ohlen. Es dauerte nicht lange, so sah der Schneider die %S.110 Sonne hinter den Bergen aufsteigen; vor ihm in der %S.110 Ebene lag die gro"se K"onigsstadt mit ihren pr"achtigen %S.110 Toren und hundert T"urmen, und die goldenen Kn"opfe %S.110 und Kreuze, die auf den Spitzen standen, fingen an zu %S.110 gl"uhen. Er unterschied jedes Blatt an den B"aumen, %S.110 erblickte die V"ogel, die vorbeiflogen, und die M"ucken, %S.110 die in der Luft tanzten. Er holte eine N"ahnadel aus der %S.110 Tasche, und als er den Zwirn einf"adeln konnte, so gut, %S.110 als er es je gekonnt hatte, so sprang sein Herz vor %S.110 Freude. Er warf sich auf seine Knie, dankte Gott f"ur die %S.110 erwiesene Gnade und sprach seinen Morgensegen; er %S.110 verga"s auch nicht, f"ur die armen S"under zu bitten, die da %S.110 hingen wie der Schwengel in der Glocke und die der %S.110 Wind aneinanderschlug. Dann nahm er seinen B"undel %S.110 auf den R"ucken, verga"s bald das ausgestandene Herzeleid %S.110 und ging unter Singen und Pfeifen weiter. %S.110 Das erste, was ihm begegnete, war ein braunes F"ullen, %S.110 das frei im Felde herumsprang. Er packte es an der %S.110 M"ahne, wollte sich aufschwingen und in die Stadt reiten. %S.110 Das F"ullen aber bat um seine Freiheit: >>Ich bin noch zu %S.111 jung<<, sprach es, >>auch ein leichter Schneider wie du %S.111 bricht mir den R"ucken entzwei, la"s mich laufen, bis ich %S.111 stark geworden bin. Es kommt vielleicht eine Zeit, wo %S.111 ich dir's lohnen kann.<< >>Lauf hin<<, sagte der Schneider, %S.111 >>ich sehe, du bist auch so ein Springinsfeld.<< Er gab ihm %S.111 noch einen Hieb mit der Gerte "uber den R"ucken, da"s es %S.111 vor Freude mit den Hinterbeinen ausschlug, "uber Hecken %S.111 und Gr"aben setzte und in das Feld hineinjagte. %S.111 Aber das Schneiderlein hatte seit gestern nichts gegessen. %S.111 >>Die Sonne<<, sprach er, >>f"ullt mir zwar die Augen, aber %S.111 das Brot nicht den Mund. Das erste, was mir begegnet %S.111 und halbweg genie"sbar ist, das mu"s herhalten.<< Indem %S.111 schritt ein Storch ganz ernsthaft "uber die Wiese daher. %S.111 >>Halt, halt<<, rief der Schneider und packte ihn am Bein, %S.111 >>ich wei"s nicht, ob du zu genie"sen bist, aber mein %S.111 Hunger erlaubt mir keine lange Wahl, ich mu"s dir den %S.111 Kopf abschneiden und dich braten.<< >>Tue das nicht<<, %S.111 antwortete der Storch, >>ich bin ein heiliger Vogel, dem %S.111 niemand ein Leid zuf"ugt und der den Menschen gro"sen %S.111 Nutzen bringt. L"a"st du mir mein Leben, so kann ich %S.111 dir's ein andermal vergelten.<< >>So zieh ab, Vetter Langbein<<, %S.111 sagte der Schneider. Der Storch erhob sich, lie"s %S.111 die langen Beine h"angen und flog gem"achlich fort. %S.111 >>Was soll daraus werden?<< sagte der Schneider zu sich %S.111 selbst. >>Mein Hunger wird immer gr"o"ser und mein %S.111 Magen immer leerer. Was mir jetzt in den Weg kommt, %S.111 das ist verloren.<< Indem sah er auf einem Teich ein paar %S.111 junge Enten daherschwimmen. >>Ihr kommt ja wie gerufen<<, %S.111 sagte er, packte eine davon und wollte ihr den Hals %S.111 umdrehen. Da fing eine alte Ente, die in dem Schilf %S.111 steckte, laut an zu kreischen, schwamm mit aufgesperrtem %S.111 Schnabel herbei und bat ihn flehentlich, sich ihrer %S.111 lieben Kinder zu erbarmen. >>Denkst du nicht<<, sagte sie, %S.111 >>wie deine Mutter jammern w"urde, wenn dich einer %S.111 wegholen und dir den Garaus machen wollte.<< >>Sei nur %S.111 still<<, sagte der gutm"utige Schneider, >>du sollst deine %S.112 Kinder behalten<<, und setzte die Gefangene wieder ins %S.112 Wasser. %S.112 Als er sich umkehrte, stand er vor einem alten Baum, der %S.112 halb hohl war, und sah die wilden Bienen aus und ein %S.112 fliegen. >>Da finde ich gleich den Lohn f"ur meine gute %S.112 Tat<<, sagte der Schneider, >>der Honig wird mich laben.<< %S.112 Aber der Weisel kam heraus, drohte und sprach: >>Wenn %S.112 du mein Volk anr"uhrst und mein Nest zerst"orst, so %S.112 sollen dir unsere Stacheln wie zehntausend gl"uhende %S.112 Nadeln in die Haut fahren. L"a"st du uns aber in Ruhe und %S.112 gehst deiner Wege, so wollen wir dir ein andermal daf"ur %S.112 einen Dienst leisten.<< %S.112 Das Schneiderlein sah, da"s auch hier nichts anzufangen %S.112 war. >>Drei Sch"usseln leer<<, sagte er, >>und auf der vierten %S.112 nichts, das ist eine schlechte Mahlzeit.<< Er schleppte sich %S.112 also mit seinem ausgehungerten Magen in die Stadt, und %S.112 da es eben zu Mittag l"autete, so war f"ur ihn im Gasthaus %S.112 schon gekocht, und er konnte sich gleich zu Tisch setzen. %S.112 Als er satt war, sagte er: >>Nun will ich auch %S.112 arbeiten.<< Er ging in der Stadt umher, suchte einen %S.112 Meister und fand auch bald ein gutes Unterkommen. Da %S.112 er aber sein Handwerk von Grund aus gelernt hatte, so %S.112 dauerte es nicht lange, er ward ber"uhmt, und jeder wollte %S.112 seinen neuen Rock von dem kleinen Schneider gemacht %S.112 haben. Alle Tage nahm sein Ansehen zu. >>Ich kann in %S.112 meiner Kunst nicht weiterkommen<<, sprach er, >>und %S.112 doch geht's jeden Tag besser.<< Endlich bestellte ihn der %S.112 K"onig zu seinem Hofschneider. %S.112 Aber wie's in der Welt geht. An demselben Tag war sein %S.112 ehemaliger Kamerad, der Schuster, auch Hofschuster %S.112 geworden. Als dieser den Schneider erblickte und sah, %S.112 da"s er wieder zwei gesunde Augen hatte, so peinigte ihn %S.112 das Gewissen. >>Ehe er Rache an mir nimmt<<, dachte er %S.112 bei sich selbst, >>mu"s ich ihm eine Grube graben.<< Wer %S.112 aber andern eine Grube gr"abt, f"allt selbst hinein. %S.112 Abends, als er Feierabend gemacht hatte und es d"ammerig %S.113 geworden war, schlich er sich zu dem K"onig und %S.113 sagte: >>Herr K"onig, der Schneider ist ein "uberm"utiger %S.113 Mensch und hat sich vermessen, er wollte die goldene %S.113 Krone wieder herbeischaffen, die vor alten Zeiten ist %S.113 verlorengegangen.<< >>Das sollte mir lieb sein<<, sprach der %S.113 K"onig, lie"s den Schneider am andern Morgen vor sich %S.113 fordern und befahl ihm, die Krone wieder herbeizuschaffen %S.113 oder f"ur immer die Stadt zu verlassen. >>Oho<<, dachte %S.113 der Schneider, >>ein Schelm gibt mehr, als er hat. Wenn %S.113 der murrk"opfige K"onig von mir verlangt, was kein %S.113 Mensch leisten kann, so will ich nicht warten bis morgen, %S.113 sondern gleich heute wieder zur Stadt hinauswandern.<< %S.113 Er schn"urte also sein B"undel, als er aber aus dem %S.113 Tor heraus war, so tat es ihm doch leid, da"s er sein %S.113 Gl"uck aufgeben und die Stadt, in der es ihm so wohl %S.113 gegangen war, mit dem R"ucken ansehen sollte. Er kam %S.113 zu dem Teich, wo er mit den Enten Bekanntschaft %S.113 gemacht hatte, da sa"s gerade die Alte, der er ihre Jungen %S.113 gelassen hatte, am Ufer und putzte sich mit dem Schnabel. %S.113 Sie erkannte ihn gleich und fragte, warum er den %S.113 Kopf so h"angen lasse. >>Du wirst dich nicht wundern, %S.113 wenn du h"orst, was mir begegnet ist<<, antwortete der %S.113 Schneider und erz"ahlte ihr sein Schicksal. >>Wenn's weiter %S.113 nichts ist<<, sagte die Ente, >>da k"onnen wir Rat %S.113 schaffen. Die Krone ist ins Wasser gefallen und liegt %S.113 unten auf dem Grund, wie bald haben wir sie wieder %S.113 heraufgeholt. Breite nur derweil dein Taschentuch ans %S.113 Ufer aus.<< Sie tauchte mit ihren zw"olf Jungen unter, und %S.113 nach f"unf Minuten war sie wieder oben und sa"s mitten in %S.113 der Krone, die auf ihren Fittichen ruhte, und die zw"olf %S.113 Jungen schwammen rundherum, hatten ihre Schn"abel %S.113 untergelegt und halfen tragen. Sie schwammen ans Land %S.113 und legten die Krone auf das Tuch. Du glaubst nicht, wie %S.113 pr"achtig die Krone war, wenn die Sonne daraufschien, so %S.113 gl"anzte sie wie hunderttausend Karfunkelsteine. Der %S.113 Schneider band sein Tuch mit den vier Zipfeln zusammen %S.114 und trug sie zum K"onig, der in einer Freude war und %S.114 dem Schneider eine goldene Kette um den Hals hing. %S.114 Als der Schuster sah, da"s der eine Streich mi"slungen %S.114 war, so besann er sich auf einen zweiten, trat vor den %S.114 K"onig und sprach: >>Herr K"onig, der Schneider ist wieder %S.114 so "uberm"utig geworden, er vermi"st sich, das ganze %S.114 k"onigliche Schlo"s mit allem, was darin ist, los und fest, %S.114 innen und au"sen, in Wachs abzubilden.<< Der K"onig lie"s %S.114 den Schneider kommen und befahl ihm, das ganze k"onigliche %S.114 Schlo"s mit allem, was darin w"are, los und fest, %S.114 innen und au"sen, in Wachs abzubilden, und wenn er es %S.114 nicht zustande br"achte oder es fehlte nur ein Nagel an der %S.114 Wand, so sollte er zeitlebens unter der Erde gefangensitzen. %S.114 Der Schneider dachte: >>Es kommt immer "arger, das %S.114 h"alt kein Mensch aus<<, warf sein B"undel auf den R"ucken %S.114 und wanderte fort. Als er an den hohlen Baum kam, %S.114 setzte er sich nieder und lie"s den Kopf h"angen. Die %S.114 Bienen kamen herausgeflogen, und der Weisel fragte ihn, %S.114 ob er einen steifen Hals h"atte, weil er den Kopf so schief %S.114 hielt. >>Ach nein<<, antwortete der Schneider, >>mich %S.114 dr"uckt etwas anderes<<, und erz"ahlte, was der K"onig von %S.114 ihm gefordert hatte. Die Bienen fingen an, untereinander %S.114 zu summen und zu brummen, und der Weisel sprach: %S.114 >>Geh nur wieder nach Haus, komm aber morgen um %S.114 diese Zeit wieder und bring ein gro"ses Tuch mit, so wird %S.114 alles gut gehen.<< Da kehrte er wieder um, die Bienen %S.114 aber flogen nach dem k"oniglichen Schlo"s, geradezu in %S.114 die offenen Fenster hinein, krochen in allen Ecken herum %S.114 und besahen alles aufs genauste. Dann liefen sie zur"uck %S.114 und bildeten das Schlo"s in Wachs nach mit einer solchen %S.114 Geschwindigkeit, da"s man meinte, es w"uchse einem vor %S.114 den Augen. Schon am Abend war alles fertig, und als der %S.114 Schneider am folgenden Morgen kam, so stand das ganze %S.114 pr"achtige Geb"aude da, und es fehlte kein Nagel an der %S.114 Wand und keine Ziegel auf dem Dach; dabei war es zart %S.114 und schneewei"s und roch s"u"s wie Honig. Der Schneider %S.115 packte es vorsichtig in sein Tuch und brachte es dem %S.115 K"onig, der aber konnte sich nicht genug verwundern, %S.115 stellte es in seinem gr"o"sten Saal auf und schenkte dem %S.115 Schneider daf"ur ein gro"ses steinernes Haus. %S.115 Der Schuster aber lie"s nicht nach, ging zum drittenmal %S.115 zu dem K"onig und sprach: >>Herr K"onig, dem Schneider %S.115 ist zu Ohren gekommen, da"s auf dem Schlo"shof kein %S.115 Wasser springen will, da hat er sich vermessen, es solle %S.115 mitten im Hof mannshoch aufsteigen und hell sein wie %S.115 Kristall.<< Da lie"s der K"onig den Schneider herbeiholen %S.115 und sagte: >>Wenn nicht morgen ein Strahl von Wasser in %S.115 meinem Hof springt, wie du versprochen hast, so soll %S.115 dich der Scharfrichter auf demselben Hof um einen Kopf %S.115 k"urzer machen.<< Der arme Schneider besann sich nicht %S.115 lange und eilte zum Tore hinaus, und weil es ihm diesmal %S.115 ans Leben gehen sollte, so rollten ihm die Tr"anen "uber %S.115 die Backen herab. Indem er so voll Trauer dahinging, %S.115 kam das F"ullen herangesprungen, dem er einmal die %S.115 Freiheit geschenkt hatte und aus dem ein h"ubscher %S.115 Brauner geworden war. >>Jetzt kommt die Stunde<<, %S.115 sprach er zu ihm, >>wo ich dir deine Guttat vergelten %S.115 kann. Ich wei"s schon, was dir fehlt, aber es soll dir bald %S.115 geholfen werden, sitz nur auf, mein R"ucken kann deiner %S.115 zwei tragen.<< Dem Schneider kam das Herz wieder, er %S.115 sprang in einem Satz auf, und das Pferd rennte in vollem %S.115 Lauf zur Stadt hinein und geradezu auf den Schlo"shof. %S.115 Da jagte es dreimal rundherum, schnell wie der %S.115 Blitz, und beim drittenmal st"urzte es nieder. In dem %S.115 Augenblick aber krachte es furchtbar: ein St"uck Erde %S.115 sprang in der Mitte des Hofs wie eine Kugel in die Luft %S.115 und "uber das Schlo"s hinaus, und gleich dahinterher %S.115 erhob sich ein Strahl von Wasser so hoch wie Mann und %S.115 Pferd, und das Wasser war so rein wie Kristall, und die %S.115 Sonnenstrahlen fingen an, darauf zu tanzen. Als der %S.115 K"onig das sah, stand er vor Verwunderung auf, ging und %S.115 umarmte das Schneiderlein im Angesicht aller Menschen. %S.116 Aber das Gl"uck dauerte nicht lang. Der K"onig hatte %S.116 T"ochter genug, eine immer sch"oner als die andere, aber %S.116 keinen Sohn. Da begab sich der boshafte Schuster zum %S.116 viertenmal zu dem K"onige und sprach: >>Herr K"onig, der %S.116 Schneider l"a"st nicht ab von seinem "Ubermut. Jetzt hat er %S.116 sich vermessen, wenn er wolle, so k"onne er dem Herrn %S.116 K"onig einen Sohn durch die L"ufte herbeitragen lassen.<< %S.116 Der K"onig lie"s den Schneider rufen und sprach: >>Wenn %S.116 du mir binnen neun Tagen einen Sohn bringen l"a"st, so %S.116 sollst du meine "alteste Tochter zur Frau haben.<< >>Der %S.116 Lohn ist freilich gro"s<<, dachte das Schneiderlein, >>da t"ate %S.116 man wohl ein "ubriges, aber die Kirschen h"angen mir zu %S.116 hoch: wenn ich danach steige, so bricht unter mir der %S.116 Ast, und ich falle herab.<< Er ging nach Haus, setzte sich %S.116 mit unterschlagenen Beinen auf seinen Arbeitstisch und %S.116 bedachte sich, was zu tun w"are. >>Es geht nicht<<, rief er %S.116 endlich aus, >>ich will fort, hier kann ich doch nicht in %S.116 Ruhe leben.<< Er schn"urte sein B"undel und eilte zum Tore %S.116 hinaus. Als er auf die Wiesen kam, erblickte er seinen %S.116 alten Freund, den Storch, der da, wie ein Weltweiser, auf %S.116 und ab ging, zuweilen stillstand, einen Frosch in n"ahere %S.116 Betrachtung nahm und ihn endlich verschluckte. Der %S.116 Storch kam heran und begr"u"ste ihn. >>Ich sehe<<, h"ub er %S.116 an, >>du hast deinen Ranzen auf dem R"ucken, warum %S.116 willst du die Stadt verlassen?<< Der Schneider erz"ahlte %S.116 ihm, was der K"onig von ihm verlangt hatte und er nicht %S.116 erf"ullen konnte, und jammerte "uber sein Mi"sgeschick. %S.116 >>La"s dir dar"uber keine grauen Haare wachsen<<, sagte der %S.116 Storch, >>ich will dir aus der Not helfen. Schon lange %S.116 bringe ich die Wickelkinder in die Stadt, da kann ich %S.116 auch einmal einen kleinen Prinzen aus dem Brunnen %S.116 holen. Geh heim und verhalte dich ruhig. Heut "uber %S.116 neun Tage begib dich in das k"onigliche Schlo"s, da will %S.116 ich kommen.<< Das Schneiderlein ging nach Haus und %S.116 war zu rechter Zeit in dem Schlo"s. Nicht lange, so kam %S.117 der Storch herangeflogen und klopfte ans Fenster. Der %S.117 Schneider "offnete ihm, und Vetter Langbein stieg vorsichtig %S.117 herein und ging mit gravit"atischen Schritten "uber %S.117 den glatten Marmorboden; er hatte aber ein Kind im %S.117 Schnabel, das sch"on wie ein Engel und seine H"andchen %S.117 nach der K"onigin ausstreckte. Er legte es ihr auf den %S.117 Scho"s, und sie herzte und k"u"ste es und war vor Freude %S.117 au"ser sich. Der Storch nahm, bevor er wieder wegflog, %S.117 seine Reisetasche von der Schulter herab und "uberreichte %S.117 sie der K"onigin. Es steckten D"uten darin mit bunten %S.117 Zuckererbsen, sie wurden unter die kleinen Prinzessinnen %S.117 verteilt. Die "alteste aber erhielt nichts, sondern %S.117 bekam den lustigen Schneider zum Mann. >>Es ist mir %S.117 geradeso<<, sprach der Schneider, >>als wenn ich das gro"se %S.117 Los gewonnen h"atte. Meine Mutter hatte doch recht, die %S.117 sagte immer, wer auf Gott vertraut und nur Gl"uck hat, %S.117 dem kann's nicht fehlen.<< %S.117 Der Schuster mu"ste die Schuhe machen, in welchen das %S.117 Schneiderlein auf dem Hochzeitfest tanzte, hernach ward %S.117 ihm befohlen, die Stadt auf immer zu verlassen. Der Weg %S.117 nach dem Wald f"uhrte ihn zu dem Galgen. Von Zorn, %S.117 Wut und der Hitze des Tages erm"udet, warf er sich %S.117 nieder. Als er die Augen zumachte und schlafen wollte, %S.117 st"urzten die beiden Kr"ahen von den K"opfen der Gehenkten %S.117 mit lautem Geschrei herab und hackten ihm die %S.117 Augen aus. Unsinnig rannte er in den Wald und mu"s %S.117 darin verschmachtet sein, denn es hat ihn niemand wieder %S.117 gesehen oder etwas von ihm geh"ort. %S.117