% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1991", % volume = "2", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3192 [6]", % isbn = "3-15-003192-3", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1991" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von Y. Nagata, am 01. April 2001 % % ck version (input e.g. Dru"cker instead of Drucker) % % [14. August 2001] einige irrt"umlich doppelt angegebene % Seitennummern korrigiert nach dem Hinweis % von Herrn Michael M"uhlenhort zu Freiburg % (herzlichsten Dank!) % \maerchentitel{KHM 99: Der Geist im Glas} \markright{KHM 99: Der Geist im Glas} Es war einmal ein armer Holzha"cker, der arbeitete vom %S.78 Morgen bis in die sp"ate Nacht. Als er sich endlich etwas %S.78 Geld zusammengespart hatte, sprach er zu seinem Jungen: %S.78 >>Du bist mein einziges Kind, ich will das Geld, das %S.78 ich mit saurem Schwei"s erworben habe, zu deinem %S.78 Unterricht anwenden; lernst du etwas Rechtschaffenes, %S.78 so kannst du mich im Alter ern"ahren, wenn meine Glieder %S.78 steif geworden sind und ich daheim sitzen mu"s.<< Da %S.78 ging der Junge auf eine hohe Schule und lernte flei"sig, so %S.78 da"s ihn seine Lehrer r"uhmten, und blieb eine Zeitlang %S.78 dort. Als er ein paar Schulen durchgelernt hatte, doch %S.78 aber noch nicht in allem vollkommen war, so war das %S.78 bi"schen Armut, das der Vater erworben hatte, draufgegangen, %S.78 und er mu"ste wieder zu ihm heimkehren. %S.78 >>Ach<<, sprach der Vater betr"ubt, >>ich kann dir nichts %S.78 mehr geben und kann in der teuern Zeit auch keinen %S.78 Heller mehr verdienen als das t"agliche Brot.<< >>Lieber %S.78 Vater<<, antwortete der Sohn, >>macht Euch dar"uber keine %S.78 Gedanken, wenn's Gottes Wille also ist, so wird's zu %S.78 meinem Besten ausschlagen; ich will mich schon dreinschi"cken.<< %S.78 Als der Vater hinaus in den Wald wollte, um %S.78 etwas am Malterholz (am Zuhauen und Aufrichten) zu %S.78 verdienen, so sprach der Sohn: >>Ich will mit Euch gehen %S.78 und Euch helfen.<< >>Ja, mein Sohn<<, sagte der Vater, >>das %S.78 sollte dir beschwerlich ankommen, du bist an harte %S.78 Arbeit nicht gew"ohnt, du h"altst das nicht aus; ich habe %S.78 auch nur eine Axt und kein Geld "ubrig, um noch eine zu %S.78 kaufen.<< >>Geht nur zum Nachbar<<, antwortete der %S.78 Sohn, >>der leiht Euch seine Axt so lange, bis ich mir %S.78 selbst eine verdient habe.<< %S.78 Da borgte der Vater beim Nachbar eine Axt, und am %S.78 andern Morgen, bei Anbruch des Tags, gingen sie %S.78 zusammen hinaus in den Wald. Der Sohn half dem Vater %S.79 und war ganz munter und frisch dabei. Als nun die %S.79 Sonne "uber ihnen stand, sprach der Vater: >>Wir wollen %S.79 rasten und Mittag halten, hernach geht's noch einmal so %S.79 gut.<< Der Sohn nahm sein Brot in die Hand und sprach: %S.79 >>Ruht Euch nur aus, Vater, ich bin nicht m"ude, ich will %S.79 in dem Wald ein wenig auf und ab gehen und Vogelnester %S.79 suchen.<< >>O du Geck<<, sprach der Vater, >>was willst du %S.79 da herumlaufen, hernach bist du m"ude und kannst den %S.79 Arm nicht mehr aufheben; bleib hier und setze dich zu %S.79 mir.<< %S.79 Der Sohn aber ging in den Wald, a"s sein Brot, war ganz %S.79 fr"ohlich und sah in die gr"unen Zweige hinein, ob er etwa %S.79 ein Nest entdeckte. So ging er hin und her, bis er endlich %S.79 zu einer gro"sen, gef"ahrlichen Eiche kam, die gewi"s %S.79 schon viele hundert Jahre alt war und die keine f"unf %S.79 Menschen umspannt h"atten. Er blieb stehen und sah sie %S.79 an und dachte: >>Es mu"s doch mancher Vogel sein Nest %S.79 hineingebaut haben.<< Da d"auchte ihn auf einmal, als %S.79 h"orte er eine Stimme. Er horchte und vernahm, wie es %S.79 mit so einem recht dumpfen Ton rief: >>La"s mich heraus, %S.79 la"s mich heraus.<< Er sah sich rings um, konnte aber %S.79 nichts entde"cken, doch es war ihm, als ob die Stimme %S.79 unten aus der Erde hervork"ame. Da rief er: >>Wo bist %S.79 du?<< Die Stimme antwortete: >>Ich ste"cke da unten bei %S.79 den Eichwurzeln. La"s mich heraus, la"s mich heraus.<< %S.79 Der Sch"uler fing an, unter dem Baum aufzur"aumen und %S.79 bei den Wurzeln zu suchen, bis er endlich in einer %S.79 kleinen H"ohlung eine Glasflasche entdeckte. Er hob sie %S.79 in die H"ohe und hielt sie gegen das Licht, da sah er ein %S.79 Ding, gleich einem Frosch gestaltet, das sprang darin auf %S.79 und nieder. >>La"s mich heraus, la"s mich heraus<<, rief's %S.79 von neuem, und der Sch"uler, der an nichts B"oses dachte, %S.79 nahm den Pfropfen von der Flasche ab. Alsbald stieg ein %S.79 Geist heraus und fing an zu wachsen und wuchs so %S.79 schnell, da"s er in wenigen Augenbli"cken als ein entsetzlicher %S.79 Kerl, so gro"s wie der halbe Baum, vor dem Sch"uler %S.80 stand. >>Wei"st du<<, rief er mit einer f"urchterlichen %S.80 Stimme, >>was dein Lohn daf"ur ist, da"s du mich herausgelassen %S.80 hast?<< >>Nein<<, antwortete der Sch"uler ohne %S.80 Furcht, >>wie soll ich das wissen?<< >>So will ich dir's %S.80 sagen<<, rief der Geist, >>den Hals mu"s ich dir daf"ur %S.80 brechen.<< >>Das h"attest du mir fr"uher sagen sollen<<, %S.80 antwortete der Sch"uler, >>so h"atte ich dich ste"cken lassen; %S.80 mein Kopf aber soll vor dir wohl feststehen, da m"ussen %S.80 mehr Leute gefragt werden.<< >>Mehr Leute hin, mehr %S.80 Leute her<<, rief der Geist, >>deinen verdienten Lohn, den %S.80 sollst du haben. Denkst du, ich w"are aus Gnade da so %S.80 lange Zeit eingeschlossen worden, nein, es war zu meiner %S.80 Strafe; ich bin der gro"sm"achtige Merkurius, wer mich %S.80 losl"a"st, dem mu"s ich den Hals brechen.<< >>Sachte<<, %S.80 antwortete der Sch"uler, >>so geschwind geht das nicht, %S.80 erst mu"s ich auch wissen, da"s du wirklich in der kleinen %S.80 Flasche gesessen hast und da"s du der rechte Geist bist: %S.80 kannst du auch wieder hinein, so will ich's glauben, und %S.80 dann magst du mit mir anfangen, was du willst.<< Der %S.80 Geist sprach voll Hochmut: >>Das ist eine geringe %S.80 Kunst<<, zog sich zusammen und machte sich so d"unn %S.80 und klein, wie er anfangs gewesen war, also da"s er durch %S.80 dieselbe "Offnung und durch den Hals der Flasche wieder %S.80 hineinkroch. Kaum aber war er darin, so dr"uckte der %S.80 Sch"uler den abgezogenen Pfropfen wieder auf und warf %S.80 die Flasche unter die Eichwurzeln an ihren alten Platz, %S.80 und der Geist war betrogen. %S.80 Nun wollte der Sch"uler zu seinem Vater zur"uckgehen, %S.80 aber der Geist rief ganz kl"aglich: >>Ach, la"s mich doch %S.80 heraus, la"s mich doch heraus.<< >>Nein<<, antwortete der %S.80 Sch"uler, >>zum zweiten Male nicht: wer mir einmal nach %S.80 dem Leben gestrebt hat, den la"s ich nicht los, wenn ich %S.80 ihn wieder eingefangen habe.<< >>Wenn du mich frei %S.80 machst<<, rief der Geist, >>so will ich dir so viel geben, da"s %S.80 du dein Lebtag genug hast.<< >>Nein<<, antwortete der %S.80 Sch"uler, >>du w"urdest mich betriegen wie das erstemal.<< %S.81 >>Du verscherzest dein Gl"uck<<, sprach der Geist, >>ich %S.81 will dir nichts tun, sondern dich reichlich belohnen.<< %S.81 Der Sch"uler dachte: >>Ich will's wagen, vielleicht h"alt er %S.81 Wort, und anhaben soll er mir doch nichts.<< Da nahm er %S.81 den Pfropfen ab, und der Geist stieg wie das vorigemal %S.81 heraus, dehnte sich auseinander und ward gro"s wie ein %S.81 Riese. >>Nun sollst du deinen Lohn haben<<, sprach er %S.81 und reichte dem Sch"uler einen kleinen Lappen, ganz wie %S.81 ein Pflaster, und sagte: >>Wenn du mit dem einen Ende %S.81 eine Wunde bestreichst, so heilt sie; und wenn du mit %S.81 dem andern Ende Stahl und Eisen bestreichst, so wird es %S.81 in Silber verwandelt.<< >>Das mu"s ich erst versuchen<<, %S.81 sprach der Sch"uler, ging an einen Baum, ritzte die Rinde %S.81 mit seiner Axt und bestrich sie mit dem einen Ende des %S.81 Pflasters: alsbald schlo"s sie sich wieder zusammen und %S.81 war geheilt. >>Nun, es hat seine Richtigkeit<<, sprach er %S.81 zum Geist, >>jetzt k"onnen wir uns trennen.<< Der Geist %S.81 dankte ihm f"ur seine Erl"osung, und der Sch"uler dankte %S.81 dem Geist f"ur sein Geschenk und ging zur"uck zu seinem %S.81 Vater. %S.81 >>Wo bist du herumgelaufen?<< sprach der Vater. >>Warum %S.81 hast du die Arbeit vergessen? Ich habe es ja gleich gesagt, %S.81 da"s du nichts zustande bringen w"urdest.<< >>Gebt Euch %S.81 zufrieden, Vater, ich will's nachholen.<< >>Ja, nachholen<<, %S.81 sprach der Vater zornig, >>das hat keine Art.<< >>Habt %S.81 acht, Vater, den Baum da will ich gleich umhauen, da"s er %S.81 krachen soll.<< Da nahm er sein Pflaster, bestrich die Axt %S.81 damit und tat einen gewaltigen Hieb; aber weil das Eisen %S.81 in Silber verwandelt war, so legte sich die Schneide um. %S.81 >>Ei, Vater, seht einmal, was habt Ihr mir f"ur eine %S.81 schlechte Axt gegeben, die ist ganz schief geworden.<< Da %S.81 erschrak der Vater und sprach: >>Ach, was hast du %S.81 gemacht! Nun mu"s ich die Axt bezahlen und wei"s nicht %S.81 womit; das ist der Nutzen, den ich von deiner Arbeit %S.81 habe.<< >>Werdet nicht b"os<<, antwortete der Sohn, >>die %S.81 Axt will ich schon bezahlen.<< >>O du Dummbart<<, rief %S.82 der Vater, >>wovon willst du sie bezahlen? Du hast %S.82 nichts, als was ich dir gebe; das sind Studentenkniffe, die %S.82 dir im Kopf ste"cken, aber vom Holzha"cken hast du %S.82 keinen Verstand.<< %S.82 "Uber ein Weilchen sprach der Sch"uler: >>Vater, ich kann %S.82 doch nichts mehr arbeiten, wir wollen lieber Feierabend %S.82 machen.<< >>Ei was<<, antwortete er, >>meinst du, ich %S.82 wollte die H"ande in den Scho"s legen wie du? Ich mu"s %S.82 noch schaffen, du kannst dich aber heimpa"cken.<< >>Vater, %S.82 ich bin zum erstenmal hier in dem Wald, ich wei"s den %S.82 Weg nicht allein, geh doch mit mir.<< Weil sich der Zorn %S.82 gelegt hatte, so lie"s der Vater sich endlich bereden und %S.82 ging mit ihm heim. Da sprach er zum Sohn: >>Geh und %S.82 verkauf die versch"andete Axt und sieh zu, was du daf"ur %S.82 kriegst; das "ubrige mu"s ich verdienen, um sie dem %S.82 Nachbar zu bezahlen.<< Der Sohn nahm die Axt und trug %S.82 sie in die Stadt zu einem Goldschmied, der probierte sie, %S.82 legte sie auf die Waage und sprach: >>Sie ist vierhundert %S.82 Taler wert, so viel habe ich nicht bar.<< Der Sch"uler %S.82 sprach: >>Gebt mir, was Ihr habt, das "ubrige will ich Euch %S.82 borgen.<< Der Goldschmied gab ihm dreihundert Taler %S.82 und blieb einhundert schuldig. Darauf ging der Sch"uler %S.82 heim und sprach: >>Vater, ich habe Geld, geht und fragt, %S.82 was der Nachbar f"ur die Axt haben will.<< >>Das wei"s ich %S.82 schon<<, antwortete der Alte, >>einen Taler, sechs Groschen.<< %S.82 >>So gebt ihm zwei Taler, zw"olf Groschen, das ist %S.82 das Doppelte und ist genug; seht Ihr, ich habe Geld im %S.82 "Uberflu"s<<, und gab dem Vater einhundert Taler und %S.82 sprach: >>Es soll Euch niemals fehlen, lebt nach Eurer %S.82 Bequemlichkeit.<< >>Mein Gott<<, sprach der Alte, >>wie %S.82 bist du zu dem Reichtum gekommen?<< Da erz"ahlte er %S.82 ihm, wie alles zugegangen w"are und wie er im Vertrauen %S.82 auf sein Gl"uck einen so reichen Fang getan h"atte. Mit %S.82 dem "ubrigen Geld aber zog er wieder hin auf die hohe %S.82 Schule und lernte weiter, und weil er mit seinem Pflaster %S.82 alle Wunden heilen konnte, ward er der ber"uhmteste %S.83 Doktor auf der ganzen Welt. %S.83