% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1995", % volume = "1", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3191", % isbn = "3-15-003191-5", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1995" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von K. OKAMOTO am 10. Februar 2001 % und "uberpr"uft von Y. Nagata am 30. M"arz 2001 % \maerchentitel{KHM 69: Jorinde und Joringel} \markright{KHM 69: Jorinde und Joringel} Es war einmal ein altes Schlo"s mitten in einem gro"sen %S.364 dicken Wald, darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein, %S.364 das war eine Erzzauberin. Am Tage machte sie sich zur %S.364 Katze oder zur Nachteule, des Abends aber wurde sie %S.364 wieder ordentlich wie ein Mensch gestaltet. Sie konnte %S.364 das Wild und die V"ogel herbeilocken, und dann schlachtete %S.364 sie, kochte und briet es. Wenn jemand auf hundert %S.364 Schritte dem Schlo"s nahe kam, so mu"ste er stillestehen %S.364 und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn %S.364 lossprach; wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen %S.364 Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel %S.364 und sperrte sie dann in einen Korb ein und trug den Korb %S.364 in eine Kammer des Schlosses. Sie hatte wohl siebentausend %S.364 solcher K"orbe mit so raren V"ogeln im Schlosse. %S.364 Nun war einmal eine Jungfrau, die hie"s Jorinde; sie war %S.364 sch"oner als alle andere M"adchen. Die und dann ein gar %S.364 sch"oner J"ungling namens Joringel hatten sich zusammen %S.364 versprochen. Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten %S.364 ihr gr"o"stes Vergn"ugen eins am andern. Damit sie nun %S.364 einsmalen vertraut zusammen reden k"onnten, gingen sie %S.364 in den Wald spazieren. >>H"ute dich<<, sagte Joringel, >>da"s %S.364 du nicht so nahe ans Schlo"s kommst.<< Es war ein %S.364 sch"oner Abend, die Sonne schien zwischen den St"ammen %S.364 der B"aume hell ins dunkle Gr"un des Waldes, und die %S.364 Turteltaube sang kl"aglich auf den alten Maibuchen. %S.364 Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein %S.364 und klagte; Joringel klagte auch. Sie waren so best"urzt, %S.364 als wenn sie h"atten sterben sollen; sie sahen sich um, %S.364 waren irre und wu"sten nicht, wohin sie nach Hause %S.364 gehen sollten. Noch halb stand die Sonne "uber dem Berg, %S.364 und halb war sie unter. Joringel sah durchs Geb"usch und %S.364 sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich; er erschrak %S.365 und wurde todbang. Jorinde sang: %S.365 \begin{verse} >>Mein V"oglein mit dem Ringlein rot \\ %S.365 singt Leide, Leide, Leide: \\ %S.365 es singt dem T"aubelein seinen Tod, \\ %S.365 singt Leide, Lei -- zick"uth, zick"uth, zick"uth.<< %S.365 \end{verse} Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall %S.365 verwandelt, die sang zick"uth, zick"uth. Eine Nachteule %S.365 mit gl"uhenden Augen flog dreimal um sie herum und %S.365 schrie dreimal schu, hu, hu, hu. Joringel konnte sich %S.365 nicht regen: er stand da wie ein Stein, konnte nicht %S.365 weinen, nicht reden, nicht Hand noch Fu"s regen. Nun %S.365 war die Sonne unter; die Eule flog in einen Strauch, und %S.365 gleich darauf kam eine alte krumme Frau aus diesem %S.365 hervor, gelb und mager: gro"se rote Augen, krumme %S.365 Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, %S.365 fing die Nachtigall und trug sie auf der Hand fort. %S.365 Joringel konnte nichts sagen, nicht von der Stelle kommen; %S.365 die Nachtigall war fort. Endlich kam das Weib %S.365 wieder und sagte mit dumpfer Stimme: >>Gr"u"s dich, %S.365 Zachiel, wenn's M"ondel ins K"orbel scheint, bind los, %S.365 Zachiel, zu guter Stund.<< Da wurde Joringel los. Er fiel %S.365 vor dem Weib auf die Knie und bat, sie m"ochte ihm seine %S.365 Jorinde wiedergeben, aber sie sagte, er sollte sie nie %S.365 wiederhaben, und ging fort. Er rief, er weinte, er jammerte, %S.365 aber alles umsonst. >>Uu, was soll mir geschehen?<< %S.365 Joringel ging fort und kam endlich in ein fremdes %S.365 Dorf; da h"utete er die Schafe lange Zeit. Oft ging er rund %S.365 um das Schlo"s herum, aber nicht zu nahe dabei. Endlich %S.365 tr"aumte er einmal des Nachts, er f"ande eine blutrote %S.365 Blume, in deren Mitte eine sch"one gro"se Perle war. Die %S.365 Blume brach er ab, ging damit zum Schlosse: alles, was er %S.365 mit der Blume ber"uhrte, ward von der Zauberei frei; %S.365 auch tr"aumte er, er h"atte seine Jorinde dadurch wiederbekommen. %S.365 Des Morgens, als er erwachte, fing er an, %S.365 durch Berg und Tal zu suchen, ob er eine solche Blume %S.365 f"ande; er suchte bis an den neunten Tag, da fand er die %S.366 blutrote Blume am Morgen fr"uh. In der Mitte war ein %S.366 gro"ser Tautropfe, so gro"s wie die sch"onste Perle. Diese %S.366 Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schlo"s. Wie er auf %S.366 hundert Schritt nahe bis zum Schlo"s kam, da ward er %S.366 nicht fest, sondern ging fort bis ans Tor. Joringel freute %S.366 sich hoch, ber"uhrte die Pforte mit der Blume, und sie %S.366 sprang auf. Er ging hinein, durch den Hof, horchte, wo %S.366 er die vielen V"ogel vern"ahme; endlich h"orte er's. Er ging %S.366 und fand den Saal, darauf war die Zauberin und f"utterte %S.366 die V"ogel in den siebentausend K"orben. Wie sie den %S.366 Joringel sah, ward sie b"os, sehr b"os, schalt, spie Gift und %S.366 Galle gegen ihn aus, aber sie konnte auf zwei Schritte %S.366 nicht an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie und %S.366 ging, besah die K"orbe mit den V"ogeln; da waren aber %S.366 viele hundert Nachtigallen, wie sollte er nun seine %S.366 Jorinde wiederfinden? Indem er so zusah, [merkte er,] %S.366 da"s die Alte heimlich ein K"orbchen mit einem Vogel %S.366 wegnahm und damit nach der T"ure ging. Flugs sprang er %S.366 hinzu, ber"uhrte das K"orbchen mit der Blume und auch %S.366 das alte Weib; nun konnte sie nichts mehr zaubern, und %S.366 Jorinde stand da, hatte ihn um den Hals gefa"st, so sch"on, %S.366 wie sie ehemals war. Da machte er auch alle die andern %S.366 V"ogel wieder zu Jungfrauen, und da ging er mit seiner %S.366 Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergn"ugt zusammen. %S.366