% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1995", % volume = "1", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3191", % isbn = "3-15-003191-5", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1995" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von K. OKAMOTO, am 27. Januar 2001 % und "uberpr"uft von Y. Nagata am 28. M"arz 2001 % \maerchentitel{KHM 17: Die wei"se Schlange} \markright{KHM 17: Die wei"se Schlange} Es ist nun schon lange her, da lebte ein K"onig, dessen %S.112 Weisheit im ganzen Lande ber"uhmt war. Nichts blieb %S.112 ihm unbekannt, und es war, als ob ihm Nachricht von %S.112 den verborgensten Dingen durch die Luft zugetragen %S.112 w"urde. Er hatte aber eine seltsame Sitte. Jeden Mittag, %S.112 wenn von der Tafel alles abgetragen und niemand mehr %S.112 zugegen war, mu"ste ein vertrauter Diener noch eine %S.112 Sch"ussel bringen. Sie war aber zugedeckt, und der Diener %S.112 wu"ste selbst nicht, was darin lag, und kein Mensch %S.113 wu"ste es, denn der K"onig deckte sie nicht eher auf und %S.113 a"s nicht davon, bis er ganz allein war. Das hatte schon %S.113 lange Zeit gedauert, da "uberkam eines Tages den Diener, %S.113 der die Sch"ussel wieder wegtrug, die Neugierde, da"s er %S.113 nicht widerstehen konnte, sondern die Sch"ussel in seine %S.113 Kammer brachte. Als er die T"ur sorgf"altig verschlossen %S.113 hatte, hob er den Deckel auf, und da sah er, da"s eine %S.113 wei"se Schlange darin lag. Bei ihrem Anblick konnte er %S.113 die Lust nicht zur"uckhalten, sie zu kosten; er schnitt ein %S.113 St"uckchen davon ab und steckte es in den Mund. Kaum %S.113 aber hatte es seine Zunge ber"uhrt, so h"orte er vor seinem %S.113 Fenster ein seltsames Gewisper von feinen Stimmen. Er %S.113 ging und horchte, da merkte er, da"s es die Sperlinge %S.113 waren, die miteinander sprachen und sich allerlei erz"ahlten, %S.113 was sie im Felde und Walde gesehen hatten. Der %S.113 Genu"s der Schlange hatte ihm die F"ahigkeit verliehen, %S.113 die Sprache der Tiere zu verstehen. %S.113 Nun trug es sich zu, da"s gerade an diesem Tage der %S.113 K"onigin ihr sch"onster Ring fortkam und auf den vertrauten %S.113 Diener, der "uberall Zugang hatte, der Verdacht fiel, %S.113 er habe ihn gestohlen. Der K"onig lie"s ihn vor sich %S.113 kommen und drohte ihm unter heftigen Scheltworten, %S.113 wenn er bis morgen den T"ater nicht zu nennen w"u"ste, so %S.113 sollte er daf"ur angesehen und gerichtet werden. Es half %S.113 nichts, da"s er seine Unschuld beteuerte, er ward mit %S.113 keinem bessern Bescheid entlassen. In seiner Unruhe und %S.113 Angst ging er hinab auf den Hof und bedachte, wie er %S.113 sich aus seiner Not helfen k"onne. Da sa"sen die Enten an %S.113 einem flie"senden Wasser friedlich nebeneinander und %S.113 ruhten, sie putzten sich mit ihren Schn"abeln glatt und %S.113 hielten ein vertrauliches Gespr"ach. Der Diener blieb %S.113 stehen und h"orte ihnen zu. Sie erz"ahlten sich, wo sie %S.113 heute morgen all herumgewackelt w"aren und was f"ur %S.113 gutes Futter sie gefunden h"atten, da sagte eine verdrie"slich: %S.113 >>Mir liegt etwas schwer im Magen, ich habe einen %S.113 Ring, der unter der K"onigin Fenster lag, in der Hast mit %S.114 hinuntergeschluckt.<< Da packte sie der Diener gleich %S.114 beim Kragen, trug sie in die K"uche und sprach zum %S.114 Koch: >>Schlachte doch diese ab, sie ist wohlgen"ahrt.<< %S.114 >>Ja<<, sagte der Koch und wog sie in der Hand, >>die hat %S.114 keine M"uhe gescheut, sich zu m"asten, und schon lange %S.114 darauf gewartet, gebraten zu werden.<< Er schnitt ihr den %S.114 Hals ab, und als sie ausgenommen ward, fand sich der %S.114 Ring der K"onigin in ihrem Magen. Der Diener konnte %S.114 nun leicht vor dem K"onige seine Unschuld beweisen, %S.114 und da dieser sein Unrecht wiedergutmachen wollte, %S.114 erlaubte er ihm, sich eine Gnade auszubitten, und versprach %S.114 ihm die gr"o"ste Ehrenstelle, die er sich an seinem %S.114 Hofe w"unschte. %S.114 Der Diener schlug alles aus und bat nur um ein Pferd und %S.114 Reisegeld, denn er hatte Lust, die Welt zu sehen und eine %S.114 Weile darin herumzuziehen. Als seine Bitte erf"ullt war, %S.114 machte er sich auf den Weg und kam eines Tags an einem %S.114 Teich vorbei, wo er drei Fische bemerkte, die sich im %S.114 Rohr gefangen hatten und nach Wasser schnappten. %S.114 Obgleich man sagt, die Fische w"aren stumm, so vernahm %S.114 er doch ihre Klage, da"s sie so elend umkommen m"u"sten. %S.114 Weil er ein mitleidiges Herz hatte, so stieg er vom Pferde %S.114 ab und setzte die drei Gefangenen wieder ins Wasser. Sie %S.114 zappelten vor Freude, streckten die K"opfe heraus und %S.114 riefen ihm zu: >>Wir wollen dir's gedenken und dir's %S.114 vergelten, da"s du uns errettet hast.<< Er ritt weiter, und %S.114 nach einem Weilchen kam es ihm vor, als h"orte er zu %S.114 seinen F"u"sen in dem Sand eine Stimme. Er horchte und %S.114 vernahm, wie ein Ameisenk"onig klagte: >>Wenn uns nur %S.114 die Menschen mit den ungeschickten Tieren vom Leib %S.114 blieben! Da tritt mir das dumme Pferd mit seinen schweren %S.114 Hufen meine Leute ohne Barmherzigkeit nieder!<< Er %S.114 lenkte auf einen Seitenweg ein, und der Ameisenk"onig %S.114 rief ihm zu: >>Wir wollen dir's gedenken und dir's vergelten.<< %S.114 Der Weg f"uhrte ihn in einen Wald, und da sah er %S.114 einen Rabenvater und eine Rabenmutter, die standen bei %S.115 ihrem Nest und warfen ihre Jungen heraus. >>Fort mit %S.115 euch, ihr Galgenschwengel<<, riefen sie, >>wir k"onnen %S.115 euch nicht mehr satt machen, ihr seid gro"s genug und %S.115 k"onnt euch selbst ern"ahren.<< Die armen Jungen lagen auf %S.115 der Erde, flatterten und schlugen mit ihren Fittichen und %S.115 schrien: >>Wir hilflosen Kinder, wir sollen uns selbst %S.115 ern"ahren und k"onnen noch nicht fliegen! Was bleibt uns %S.115 "ubrig, als hier Hungers zu sterben!<< Da stieg der gute %S.115 J"ungling ab, t"otete das Pferd mit seinem Degen und %S.115 "uberlie"s es den jungen Raben zum Futter. Die kamen %S.115 herbeigeh"upft, s"attigten sich und riefen: >>Wir wollen %S.115 dir's gedenken und dir's vergelten.<< %S.115 Er mu"ste jetzt seine eigenen Beine gebrauchen, und als er %S.115 lange Wege gegangen war, kam er in eine gro"se Stadt. Da %S.115 war gro"ser L"arm und Gedr"ange in den Stra"sen und kam %S.115 einer zu Pferde und machte bekannt, die K"onigstochter %S.115 suche einen Gemahl, wer sich aber um sie bewerben %S.115 wolle, der m"usse eine schwere Aufgabe vollbringen, und %S.115 k"onne er es nicht gl"ucklich ausf"uhren, so habe er sein %S.115 Leben verwirkt. Viele hatten es schon versucht, aber %S.115 vergeblich ihr Leben darangesetzt. Der J"ungling, als er %S.115 die K"onigstochter sah, ward er von ihrer gro"sen Sch"onheit %S.115 so verblendet, da"s er alle Gefahr verga"s, vor den %S.115 K"onig trat und sich als Freier meldete. %S.115 Alsbald ward er hinaus ans Meer gef"uhrt und vor seinen %S.115 Augen ein goldener Ring hineingeworfen. Dann hie"s ihn %S.115 der K"onig diesen Ring aus dem Meeresgrund wieder %S.115 hervorzuholen und f"ugte hinzu: >>Wenn du ohne ihn %S.115 wieder in die H"ohe kommst, so wirst du immer aufs neue %S.115 hinabgest"urzt, bis du in den Wellen umkommst.<< Alle %S.115 bedauerten den sch"onen J"ungling und lie"sen ihn dann %S.115 einsam am Meere zur"uck. Er stand am Ufer und "uberlegte, %S.115 was er wohl tun sollte, da sah er auf einmal drei %S.115 Fische daherschwimmen, und es waren keine anderen als %S.115 jene, welchen er das Leben gerettet hatte. Der mittelste %S.115 hielt eine Muschel im Munde, die er an den Strand zu den %S.116 F"u"sen des J"unglings hinlegte, und als dieser sie aufhob %S.116 und "offnete, so lag der Goldring darin. Voll Freude %S.116 brachte er ihn dem K"onige und erwartete, da"s er ihm den %S.116 verhei"senen Lohn gew"ahren w"urde. Die stolze K"onigstochter %S.116 aber, als sie vernahm, da"s er ihr nicht ebenb"urtig %S.116 war, verschm"ahte ihn und verlangte, er sollte zuvor eine %S.116 zweite Aufgabe l"osen. Sie ging hinab in den Garten und %S.116 streute selbst zehn S"acke voll Hirsen ins Gras. >>Die mu"s %S.116 er morgen, eh die Sonne hervorkommt, aufgelesen %S.116 haben<<, sprach sie, >>und darf kein K"ornchen fehlen.<< %S.116 Der J"ungling setzte sich in den Garten und dachte nach, %S.116 wie es m"oglich w"are, die Aufgabe zu l"osen, aber er %S.116 konnte nichts ersinnen, sa"s da ganz traurig und erwartete, %S.116 bei Anbruch des Morgens zum Tode gef"uhrt zu %S.116 werden. Als aber die ersten Sonnenstrahlen in den Garten %S.116 fielen, so sah er die zehn S"acke alle wohlgef"ullt %S.116 nebeneinanderstehen, und kein K"ornchen fehlte darin. %S.116 Der Ameisenk"onig war mit seinen tausend und tausend %S.116 Ameisen in der Nacht angekommen, und die dankbaren %S.116 Tiere hatten den Hirsen mit gro"ser Emsigkeit gelesen %S.116 und in die S"acke gesammelt. Die K"onigstochter kam %S.116 selbst in den Garten herab und sah mit Verwunderung, %S.116 da"s der J"ungling vollbracht hatte, was ihm aufgegeben %S.116 war. Aber sie konnte ihr stolzes Herz noch nicht %S.116 bezwingen und sprach: >>Hat er auch die beiden Aufgaben %S.116 gel"ost, so soll er doch nicht eher mein Gemahl %S.116 werden, bis er mir einen Apfel vom Baume des Lebens %S.116 gebracht hat.<< Der J"ungling wu"ste nicht, wo der Baum %S.116 des Lebens stand, er machte sich auf und wollte immerzu %S.116 gehen, solange ihn seine Beine tr"ugen, aber er hatte keine %S.116 Hoffnung, ihn zu finden. Als er schon durch drei K"onigreiche %S.116 gewandert war und abends in einen Wald kam, %S.116 setzte er sich unter einen Baum und wollte schlafen; da %S.116 h"orte er in den "Asten ein Ger"ausch, und ein goldner %S.116 Apfel fiel in seine Hand. Zugleich flogen drei Raben zu %S.116 ihm herab, setzten sich auf seine Knie und sagten: >>Wir %S.117 sind die drei jungen Raben, die du vom Hungertod %S.117 errettet hast; als wir gro"s geworden waren und h"orten, %S.117 da"s du den goldenen Apfel suchtest, so sind wir "uber das %S.117 Meer geflogen bis ans Ende der Welt, wo der Baum des %S.117 Lebens steht, und haben dir den Apfel geholt.<< Voll %S.117 Freude machte sich der J"ungling auf den Heimweg und %S.117 brachte der sch"onen K"onigstochter den goldenen Apfel, %S.117 der nun keine Ausrede mehr "ubrigblieb. Sie teilten den %S.117 Apfel des Lebens und a"sen ihn zusammen; da ward ihr %S.117 Herz mit Liebe zu ihm erf"ullt, und sie erreichten in %S.117 ungest"ortem Gl"uck ein hohes Alter. %S.117