% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1995", % volume = "1", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3191", % isbn = "3-15-003191-5", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1995" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von Y. Nagata, am 29. Dezember 2000 % \maerchentitel{KHM 9: Die zw"olf Br"uder} \markright{KHM 9: Die zw"olf Br"uder} Es war einmal ein K"onig und eine K"onigin, die lebten in %S.71 Frieden miteinander und hatten zw"olf Kinder, das waren %S.71 aber lauter Buben. Nun sprach der K"onig zu seiner Frau: %S.71 >>Wenn das dreizehnte Kind, was du zur Welt bringst, %S.71 ein M"adchen ist, so sollen die zw"olf Buben sterben, %S.71 damit sein Reichtum gro"s wird und das K"onigreich ihm %S.71 allein zuf"allt.<< Er lie"s auch zw"olf S"arge machen, die %S.71 waren schon mit Hobelsp"anen gef"ullt, und in jedem lag %S.71 das Totenki"schen, und lie"s sie in eine verschlossene %S.71 Stube bringen, dann gab er der K"onigin den Schl"ussel %S.72 und gebot ihr, niemand etwas davon zu sagen. %S.72 Die Mutter aber sa"s nun den ganzen Tag und trauerte, so %S.72 da"s der kleinste Sohn, der immer bei ihr war und den sie %S.72 nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach: >>Liebe %S.72 Mutter, warum bist du so traurig?<< >>Liebstes Kind<<, %S.72 antwortete sie, >>ich darf dir's nicht sagen.<< Er lie"s ihr %S.72 aber keine Ruhe, bis sie ging und die Stube aufschlo"s und %S.72 ihm die zw"olf mit Hobelsp"anen schon gef"ullten Totenladen %S.72 zeigte. Darauf sprach sie: >>Mein liebster Benjamin, %S.72 diese S"arge hat dein Vater f"ur dich und deine elf Br"uder %S.72 machen lassen, denn wenn ich ein M"adchen zur Welt %S.72 bringe, so sollt ihr allesamt get"otet und darin begraben %S.72 werden.<< Und als sie weinte, w"ahrend sie das sprach, so %S.72 tr"ostete sie der Sohn und sagte: >>Weine nicht, liebe %S.72 Mutter, wir wollen uns schon helfen und wollen fortgehen.<< %S.72 Sie aber sprach: >>Geh mit deinen elf Br"udern %S.72 hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den %S.72 h"ochsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht und %S.72 schaue nach dem Turm hier im Schlo"s. Geb"ar ich ein %S.72 S"ohnlein, so will ich eine wei"se Fahne aufstecken, und %S.72 dann d"urft ihr wiederkommen; geb"ar ich ein T"ochterlein, %S.72 so will ich eine rote Fahne aufstecken, und dann flieht %S.72 fort, so schnell ihr k"onnt, und der liebe Gott beh"ute %S.72 euch. Alle Nacht will ich aufstehen und f"ur euch beten, %S.72 im Winter, da"s ihr an einem Feuer euch w"armen k"onnt, %S.72 im Sommer, da"s ihr nicht in der Hitze schmachtet.<< %S.72 Nachdem sie also ihre S"ohne gesegnet hatte, gingen sie %S.72 hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, %S.72 sa"s auf der h"ochsten Eiche und schauete nach dem Turm. %S.72 Als elf Tage herum waren und die Reihe an Benjamin %S.72 kam, da sah er, wie eine Fahne aufgesteckt wurde: es war %S.72 aber nicht die wei"se, sondern die rote Blutfahne, die %S.72 verk"undigte, da"s sie alle sterben sollten. Wie die Br"uder %S.72 das h"orten, wurden sie zornig und sprachen: >>Sollten wir %S.72 um eines M"adchens willen den Tod leiden! Wir schw"oren, %S.72 da"s wir uns r"achen wollen: wo wir ein M"adchen %S.73 finden, soll sein rotes Blut flie"sen.<< %S.73 Darauf gingen sie tiefer in den Wald hinein, und mittendrein, %S.73 wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines, %S.73 verw"unschtes H"auschen, das leerstand. Da sprachen sie: %S.73 >>Hier wollen wir wohnen, und du, Benjamin, du bist der %S.73 j"ungste und schw"achste, du sollst daheim bleiben und %S.73 haushalten, wir andern wollen ausgehen und Essen %S.73 holen.<< Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, %S.73 wilde Rehe, V"ogel und T"auberchen und was zu essen %S.73 stand; das brachten sie dem Benjamin, der mu"ste es %S.73 ihnen zurechtmachen, damit sie ihren Hunger stillen %S.73 konnten. In dem H"auschen lebten sie zehn Jahre zusammen, %S.73 und die Zeit ward ihnen nicht lang. %S.73 Das T"ochterchen, das ihre Mutter, die K"onigin, geboren %S.73 hatte, war nun herangewachsen, war gut von Herzen %S.73 und sch"on von Angesicht und hatte einen goldenen Stern %S.73 auf der Stirne. Einmal, als gro"se W"asche war, sah es %S.73 darunter zw"olf Mannshemden und fragte seine Mutter: %S.73 >>Wem geh"oren diese zw"olf Hemden, f"ur den Vater sind %S.73 sie doch viel zu klein?<< Da antwortete sie mit schwerem %S.73 Herzen: >>Liebes Kind, die geh"oren deinen zw"olf Br"udern.<< %S.73 Sprach das M"adchen: >>Wo sind meine zw"olf %S.73 Br"uder, ich habe noch niemals von ihnen geh"ort.<< Sie %S.73 antwortete: >>Das wei"s Gott, wo sie sind: sie irren in der %S.73 Welt herum.<< Da nahm sie das M"adchen und schlo"s ihm %S.73 das Zimmer auf und zeigte ihm die zw"olf S"arge mit den %S.73 Hobelsp"anen und den Totenki"schen. >>Diese S"arge<<, %S.73 sprach sie, >>waren f"ur deine Br"uder bestimmt, aber sie %S.73 sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst<<, und %S.73 erz"ahlte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte %S.73 das M"adchen: >>Liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen %S.73 und meine Br"uder suchen.<< %S.73 Nun nahm es die zw"olf Hemden und ging fort und %S.73 geradezu in den gro"sen Wald hinein. Es ging den ganzen %S.73 Tag, und am Abend kam es zu dem verw"unschten H"auschen. %S.73 Da trat es hinein und fand einen jungen Knaben, %S.74 der fragte: >>Wo kommst du her, und wo willst du hin?<<, %S.74 und erstaunte, da"s sie so sch"on war, k"onigliche Kleider %S.74 trug und einen Stern auf der Stirne hatte. Da antwortete %S.74 sie: >>Ich bin eine K"onigstochter und suche meine zw"olf %S.74 Br"uder und will gehen, soweit der Himmel blau ist, bis %S.74 ich sie finde.<< Sie zeigte ihm auch die zw"olf Hemden, die %S.74 ihnen geh"orten. Da sah Benjamin, da"s es seine Schwester %S.74 war, und sprach: >>Ich bin Benjamin, dein j"ungster Bruder.<< %S.74 Und sie fing an zu weinen vor Freude, und Benjamin %S.74 auch, und sie k"u"sten und herzten einander vor %S.74 gro"ser Liebe. Hernach sprach er: >>Liebe Schwester, es %S.74 ist noch ein Vorbehalt da, wir hatten verabredet, da"s ein %S.74 jedes M"adchen, das uns begegnete, sterben sollte, weil %S.74 wir um ein M"adchen unser K"onigreich verlassen mu"sten.<< %S.74 Da sagte sie: >>Ich will gerne sterben, wenn ich %S.74 damit meine zw"olf Br"uder erl"osen kann.<< >>Nein<<, antwortete %S.74 er, >>du sollst nicht sterben, setze dich unter diese %S.74 B"utte, bis die elf Br"uder kommen, dann will ich schon %S.74 einig mit ihnen werden.<< Also tat sie; und wie es Nacht %S.74 ward, kamen die andern von der Jagd, und die Mahlzeit %S.74 war bereit. Und als sie am Tische sa"sen und a"sen, fragten %S.74 sie: >>Was gibt's Neues?<< Sprach Benjamin: >>Wi"st ihr %S.74 nichts?<< >>Nein<<, antworteten sie. Sprach er weiter: >>Ihr %S.74 seid im Walde gewesen, und ich bin daheim geblieben %S.74 und wei"s doch mehr als ihr.<< >>So erz"ahle uns<<, riefen %S.74 sie. Antwortete er: >>Versprecht ihr mir auch, da"s das %S.74 erste M"adchen, das uns begegnet, nicht soll get"otet werden?<< %S.74 >>Ja<<, riefen sie alle, >>das soll Gnade haben, erz"ahl %S.74 uns nur.<< Da sprach er: >>Unsere Schwester ist da<<, und %S.74 hub die B"utte auf, und die K"onigstochter kam hervor in %S.74 ihren k"oniglichen Kleidern mit dem goldenen Stern auf %S.74 der Stirne und war so sch"on, zart und fein. Da freueten %S.74 sie sich alle, fielen ihr um den Hals und k"u"sten sie und %S.74 hatten sie vom Herzen lieb. %S.74 Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in der %S.74 Arbeit. Die elfe zogen in den Wald, fingen Gewild, %S.75 Rehe, V"ogel und T"auberchen, damit sie zu essen hatten, %S.75 und die Schwester und Benjamin sorgten, da"s es zubereitet %S.75 wurde. Sie suchte das Holz zum Kochen und die %S.75 Kr"auter zum Gem"us und stellte die T"opfe ans Feuer, also %S.75 da"s die Mahlzeit immer fertig war, wenn die elfe kamen. %S.75 Sie hielt auch sonst Ordnung im H"auschen und deckte %S.75 die Bettlein h"ubsch wei"s und rein, und die Br"uder waren %S.75 immer zufrieden und lebten in gro"ser Einigkeit mit %S.75 ihr. %S.75 Auf eine Zeit hatten die beiden daheim eine sch"one Kost %S.75 zurechtgemacht, und wie sie nun alle beisammen waren, %S.75 setzten sie sich, a"sen und tranken und waren voller %S.75 Freude. Es war aber ein kleines G"artchen an dem verw"unschten %S.75 H"auschen, darin standen zw"olf Lilienblumen, %S.75 die man auch Studenten hei"st; nun wollte sie ihren %S.75 Br"udern ein Vergn"ugen machen, brach die zw"olf Blumen %S.75 ab und dachte jedem aufs Essen eine zu schenken. Wie %S.75 sie aber die Blumen abgebrochen hatte, in demselben %S.75 Augenblick waren die zw"olf Br"uder in zw"olf Raben %S.75 verwandelt und flogen "uber den Wald hin fort, und das %S.75 Haus mit dem Garten war auch verschwunden. Da war %S.75 nun das arme M"adchen allein in dem wilden Wald, und %S.75 wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die %S.75 sprach: >>Mein Kind, was hast du angefangen? Warum %S.75 hast du die zw"olf wei"sen Blumen nicht stehen lassen? %S.75 Das waren deine Br"uder, die sind nun auf immer in %S.75 Raben verwandelt.<< Das M"adchen sprach weinend: >>Ist %S.75 denn kein Mittel, sie zu erl"osen?<< >>Nein<<, sagte die Alte, %S.75 >>es ist keins auf der ganzen Welt als eins, das ist aber so %S.75 schwer, da"s du sie damit nicht befreien wirst, denn du %S.75 mu"st sieben Jahre stumm sein, darfst nicht sprechen und %S.75 nicht lachen, und sprichst du ein einziges Wort, und es %S.75 fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles %S.75 umsonst, und deine Br"uder werden von dem einen Wort %S.75 get"otet.<< %S.75 Da sprach das M"adchen in seinem Herzen: >>Ich wei"s %S.76 gewi"s, da"s ich meine Br"uder erl"ose<<, und ging und %S.76 suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann, %S.76 und sprach nicht und lachte nicht. Nun trug's sich zu, %S.76 da"s ein K"onig in dem Walde jagte, der hatte einen gro"sen %S.76 Windhund, der lief zu dem Baum, wo das M"adchen %S.76 draufsa"s, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da %S.76 kam der K"onig herbei und sah die sch"one K"onigstochter %S.76 mit dem goldenen Stern auf der Stirne und war so %S.76 entz"uckt "uber ihre Sch"onheit, da"s er ihr zurief, ob sie %S.76 seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, %S.76 nickte aber ein wenig mit dem Kopf. Da stieg er selbst %S.76 auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf sein Pferd %S.76 und f"uhrte sie heim. Da ward die Hochzeit mit gro"ser %S.76 Pracht und Freude gefeiert; aber die Braut sprach nicht %S.76 und lachte nicht. Als sie ein paar Jahre miteinander %S.76 vergn"ugt gelebt hatten, fing die Mutter des K"onigs, die %S.76 eine b"ose Frau war, an, die junge K"onigin zu verleumden, %S.76 und sprach zum K"onig: >>Es ist ein gemeines Bettelm"adchen, %S.76 das du dir mitgebracht hast, wer wei"s, was f"ur %S.76 gottlose Streiche sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist %S.76 und nicht sprechen kann, so k"onnte sie doch einmal %S.76 lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein b"oses Gewissen.<< %S.76 Der K"onig wollte zuerst nicht daran glauben, aber %S.76 die Alte trieb es so lange und beschuldigte sie so viel %S.76 b"oser Dinge, da"s der K"onig sich endlich "uberreden lie"s %S.76 und sie zum Tod verurteilte. %S.76 Nun ward im Hof ein gro"ses Feuer angez"undet, darin %S.76 sollte sie verbrannt werden; und der K"onig stand oben %S.76 am Fenster und sah mit weinenden Augen zu, weil er sie %S.76 noch immer so liebhatte. Und als sie schon an den Pfahl %S.76 festgebunden war und das Feuer an ihren Kleidern mit %S.76 roten Zungen leckte, da war eben der letzte Augenblick %S.76 von den sieben Jahren verflossen. Da lie"s sich in der Luft %S.76 ein Geschwirr h"oren, und zw"olf Raben kamen hergezogen %S.76 und senkten sich nieder; und wie sie die Erde ber"uhrten, %S.76 waren es ihre zw"olf Br"uder, die sie erl"ost hatte. Sie %S.77 rissen das Feuer auseinander, l"oschten die Flammen, %S.77 machten ihre liebe Schwester frei und k"u"sten und herzten %S.77 sie. Nun aber, da sie ihren Mund auftun und reden %S.77 durfte, erz"ahlte sie dem K"onige, warum sie stumm gewesen %S.77 w"are und niemals gelacht h"atte. Der K"onig freute %S.77 sich, als er h"orte, da"s sie unschuldig war, und sie lebten %S.77 nun alle zusammen in Einigkeit bis an ihren Tod. Die %S.77 b"ose Stiefmutter ward vor Gericht gestellt und in ein Fa"s %S.77 gesteckt, das mit siedendem "Ol und giftigen Schlangen %S.77 angef"ullt war, und starb eines b"osen Todes. %S.77