% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1995", % volume = "1", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3191", % isbn = "3-15-003191-5", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1995" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von Y. Nagata, am 24. Dezember 2000 % % ck version (input e.g. Dru"cker instead of Drucker) % \maerchentitel{KHM 3: Marienkind} \markright{KHM 3: Marienkind} Vor einem gro"sen Walde lebte ein Holzha"cker mit seiner %S.36 Frau, der hatte nur ein einziges Kind, das war ein %S.36 M"adchen von drei Jahren. Sie waren aber so arm, da"s sie %S.36 nicht mehr das t"agliche Brot hatten und nicht wu"sten, %S.36 was sie ihm sollten zu essen geben. Eines Morgens ging %S.36 der Holzha"cker voller Sorgen hinaus in den Wald an %S.36 seine Arbeit, und wie er da Holz hackte, stand auf einmal %S.36 eine sch"one gro"se Frau vor ihm, die hatte eine Krone von %S.36 leuchtenden Sternen auf dem Haupt und sprach zu ihm: %S.36 >>Ich bin die Jungfrau Maria, die Mutter des Christkindleins: %S.36 du bist arm und d"urftig, bring mir dein Kind, ich %S.36 will es mit mir nehmen, seine Mutter sein und f"ur es %S.36 sorgen.<< Der Holzha"cker gehorchte, holte sein Kind und %S.36 "ubergab es der Jungfrau Maria, die nahm es mit sich %S.36 hinauf in den Himmel. Da ging es ihm wohl, es a"s \ %S.36 Zu"ckerbrot und trank s"u"se Milch, und seine Kleider %S.36 waren von Gold, und die Englein spielten mit ihm. Als es %S.36 nun vierzehn Jahr alt geworden war, rief es einmal die %S.36 Jungfrau Maria zu sich und sprach: >>Liebes Kind, ich %S.36 habe eine gro"se Reise vor, da nimm die Schl"ussel zu den %S.36 dreizehn T"uren des Himmelreichs in Verwahrung: zw"olf %S.36 davon darfst du aufschlie"sen und die Herrlichkeiten %S.36 darin betrachten, aber die dreizehnte, wozu dieser kleine %S.36 Schl"ussel geh"ort, die ist dir verboten: h"ute dich, da"s du %S.36 sie nicht aufschlie"sest, sonst wirst du ungl"ucklich.<< Das %S.36 M"adchen versprach gehorsam zu sein, und als nun die %S.36 Jungfrau Maria weg war, fing sie an und besah die %S.36 Wohnungen des Himmelreichs: jeden Tag schlo"s es eine %S.36 auf, bis die zw"olfe herum waren. In jeder aber sa"s ein %S.36 Apostel und war von gro"sem Glanz umgeben, und es %S.36 freute sich "uber all die Pracht und Herrlichkeit, und die %S.36 Englein, die es immer begleiteten, freuten sich mit ihm. %S.36 Nun war die verbotene T"ur allein noch "ubrig, da empfand %S.37 es eine gro"se Lust zu wissen, was dahinter verborgen %S.37 w"are, und sprach zu den Englein: >>Ganz aufmachen %S.37 will ich sie nicht und will auch nicht hineingehen, aber %S.37 ich will sie aufschlie"sen, damit wir ein wenig durch den %S.37 Ritz sehen.<< >>Ach nein<<, sagten die Englein, >>das w"are %S.37 S"unde: die Jungfrau Maria hat's verboten, und es k"onnte %S.37 leicht dein Ungl"uck werden.<< Da schwieg es still, aber %S.37 die Begierde in seinem Herzen schwieg nicht still, sondern %S.37 nagte und pickte ordentlich daran und lie"s ihm %S.37 keine Ruhe. Und als die Englein einmal alle hinausgegangen %S.37 waren, dachte es: Nun bin ich ganz allein und k"onnte %S.37 hineingu"cken, es wei"s es ja niemand, wenn ich's tue. Es %S.37 suchte den Schl"ussel heraus, und als es ihn in der Hand %S.37 hielt, steckte es ihn auch in das Schlo"s, und als es ihn %S.37 hineingesteckt hatte, drehte es auch um. Da sprang die %S.37 T"ure auf, und es sah da die Dreieinigkeit im Feuer und %S.37 Glanz sitzen. Es blieb ein Weilchen stehen und betrachtete %S.37 alles mit Erstaunen, dann r"uhrte es ein wenig mit %S.37 dem Finger an den Glanz, da ward der Finger ganz %S.37 golden. Alsbald empfand es eine gewaltige Angst, schlug %S.37 die T"ure heftig zu und lief fort. Die Angst wollte auch %S.37 nicht wieder weichen, es mochte anfangen, was es %S.37 wollte, und das Herz klopfte in einem fort und wollte %S.37 nicht ruhig werden: auch das Gold blieb an dem Finger %S.37 und ging nicht ab, es mochte waschen und reiben, soviel %S.37 es wollte. %S.37 Gar nicht lange, so kam die Jungfrau Maria von ihrer %S.37 Reise zur"uck. Sie rief das M"adchen zu sich und forderte %S.37 ihm die Himmelsschl"ussel wieder ab. Als es den Bund %S.37 hinreichte, blickte ihm die Jungfrau in die Augen und %S.37 sprach: >>Hast du auch nicht die dreizehnte T"ure ge"offnet?<< %S.37 >>Nein<<, antwortete es. Da legte sie ihre Hand auf %S.37 sein Herz, f"uhlte, wie es klopfte und klopfte, und merkte %S.37 wohl, da"s es ihr Gebot "ubertreten und die T"ure aufgeschlossen %S.37 hatte. Da sprach sie noch einmal: >>Hast %S.37 du es gewi"s nicht getan?<< >>Nein<<, sagte das M"adchen %S.38 zum zweitenmal. Da erblickte sie den Finger, der von %S.38 der Ber"uhrung des himmlischen Feuers golden geworden %S.38 war, sah wohl, da"s es ges"undigt hatte, und sprach %S.38 zum drittenmal: >>Hast du es nicht getan?<< >>Nein<<, sagte %S.38 das M"adchen zum drittenmal. Da sprach die Jungfrau %S.38 Maria: >>Du hast mir nicht gehorcht und hast noch dazu %S.38 gelogen, du bist nicht mehr w"urdig, im Himmel zu %S.38 sein.<< %S.38 Da versank das M"adchen in einen tiefen Schlaf, und als es %S.38 erwachte, lag es unten auf der Erde, mitten in einer %S.38 Wildnis. Es wollte rufen, aber es konnte keinen Laut %S.38 hervorbringen. Es sprang auf und wollte fortlaufen, aber %S.38 wo es sich hinwendete, immer ward es von dichten %S.38 Dornhe"cken zur"uckgehalten, die es nicht durchbrechen %S.38 konnte. In der Ein"ode, in welche es eingeschlossen war, %S.38 stand ein alter hohler Baum, das mu"ste seine Wohnung %S.38 sein. Da kroch es hinein, wenn die Nacht kam, und %S.38 schlief darin, und wenn es st"urmte und regnete, fand es %S.38 darin Schutz: aber es war ein j"ammerliches Leben, und %S.38 wenn es daran dachte, wie es im Himmel so sch"on %S.38 gewesen war und die Engel mit ihm gespielt hatten, so %S.38 weinte es bitterlich. Wurzeln und Waldbeeren waren %S.38 seine einzige Nahrung, die suchte es sich, soweit es %S.38 kommen konnte. Im Herbst sammelte es die herabgefallenen %S.38 N"usse und Bl"atter und trug sie in die H"ohle, die %S.38 N"usse waren im Winter seine Speise, und wenn Schnee %S.38 und Eis kam, so kroch es wie ein armes Tierchen in die %S.38 Bl"atter, da"s es nicht fror. Nicht lange, so zerrissen seine %S.38 Kleider und fiel ein St"uck nach dem andern vom Leib %S.38 herab. Sobald dann die Sonne wieder warm schien, ging %S.38 es heraus und setzte sich vor den Baum, und seine langen %S.38 Haare bedeckten es von allen Seiten wie ein Mantel. So %S.38 sa"s es ein Jahr nach dem andern und f"uhlte den Jammer %S.38 und das Elend der Welt. %S.38 Einmal, als die B"aume wieder in frischem Gr"un standen, %S.38 jagte der K"onig des Landes in dem Wald und verfolgte %S.39 ein Reh, und weil es in das Geb"usch geflohen war, das %S.39 den Waldplatz einschlo"s, stieg er vom Pferd, ri"s das %S.39 Gestr"uppe auseinander und hieb sich mit seinem Schwert %S.39 einen Weg. Als er endlich hindurchgedrungen war, sah %S.39 er unter dem Baum ein wundersch"ones M"adchen sitzen, %S.39 das sa"s da und war von seinem goldenen Haar bis zu den %S.39 Fu"szehen bedeckt. Er stand still und betrachtete es voll %S.39 Erstaunen, dann redete er es an und sprach: >>Wer bist %S.39 du? Warum sitzest du hier in der Ein"ode?<< Es gab aber %S.39 keine Antwort, denn es konnte seinen Mund nicht auftun. %S.39 Der K"onig sprach weiter: >>Willst du mit mir auf %S.39 mein Schlo"s gehen?<< Da nickte es nur ein wenig mit dem %S.39 Kopf. Der K"onig nahm es auf seinen Arm, trug es auf %S.39 sein Pferd und ritt mit ihm heim, und als er auf das %S.39 k"onigliche Schlo"s kam, lie"s er ihm sch"one Kleider anziehen %S.39 und gab ihm alles im "Uberflu"s. Und ob es gleich %S.39 nicht sprechen konnte, so war es doch sch"on und holdselig, %S.39 da"s er es von Herzen liebgewann, und es dauerte %S.39 nicht lange, da verm"ahlte er sich mit ihm. %S.39 Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die K"onigin %S.39 einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein %S.39 in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria und %S.39 sprach: >>Willst du die Wahrheit sagen und gestehen, da"s %S.39 du die verbotene T"ur aufgeschlossen hast, so will ich %S.39 deinen Mund "offnen und dir die Sprache wiedergeben: %S.39 verharrst du aber in der S"unde und leugnest hartn"a"ckig, %S.39 so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir.<< Da war %S.39 der K"onigin verliehen zu antworten, sie blieb aber verstockt %S.39 und sprach: >>Nein, ich habe die verbotene T"ur %S.39 nicht aufgemacht<<, und die Jungfrau Maria nahm das %S.39 neugeborene Kind ihr aus den Armen und verschwand %S.39 damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu finden %S.39 war, ging ein Gemurmel unter den Leuten, die K"onigin %S.39 w"are eine Menschenfresserin und h"atte ihr eigenes Kind %S.39 umgebracht. Sie h"orte alles und konnte nichts dagegen %S.39 sagen, der K"onig aber wollte es nicht glauben, weil er sie %S.40 so lieb hatte. %S.40 Nach einem Jahr gebar die K"onigin wieder einen Sohn. %S.40 In der Nacht trat auch wieder die Jungfrau Maria zu ihr %S.40 herein und sprach: >>Willst du gestehen, da"s du die %S.40 verbotene T"ure ge"offnet hast, so will ich dir dein Kind %S.40 wiedergeben und deine Zunge l"osen: verharrst du aber in %S.40 der S"unde und leugnest, so nehme ich auch dieses neugeborne %S.40 mit mir.<< Da sprach die K"onigin wiederum: %S.40 >>Nein, ich habe die verbotene T"ur nicht ge"offnet<<, und %S.40 die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen weg und %S.40 mit sich in den Himmel. Am Morgen, als das Kind %S.40 abermals verschwunden war, sagten die Leute ganz laut, %S.40 die K"onigin h"atte es verschlungen, und des K"onigs R"ate %S.40 verlangten, da"s sie sollte gerichtet werden. Der K"onig %S.40 aber hatte sie so lieb, da"s er es nicht glauben wollte, und %S.40 befahl den R"aten, bei Leibes- und Lebensstrafe nichts %S.40 mehr dar"uber zu sprechen. %S.40 Im n"achsten Jahre gebar die K"onigin ein sch"ones T"ochterlein, %S.40 da erschien ihr zum drittenmal nachts die Jungfrau %S.40 Maria und sprach: >>Folge mir.<< Sie nahm sie bei der %S.40 Hand und f"uhrte sie in den Himmel und zeigte ihr da %S.40 ihre beiden "altesten Kinder, die lachten sie an und spielten %S.40 mit der Weltkugel. Als sich die K"onigin dar"uber %S.40 freuete, sprach die Jungfrau Maria: >>Ist dein Herz noch %S.40 nicht erweicht? Wenn du eingestehst, da"s du die verbotene %S.40 T"ur ge"offnet hast, so will ich dir deine beiden %S.40 S"ohnlein zur"uckgeben.<< Aber die K"onigin antwortete %S.40 zum drittenmal: >>Nein, ich habe die verbotene T"ur nicht %S.40 ge"offnet.<< Da lie"s sie die Jungfrau wieder zur Erde %S.40 herabsinken und nahm ihr auch das dritte Kind. %S.40 Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle %S.40 Leute laut: >>Die K"onigin ist eine Menschenfresserin, sie %S.40 mu"s verurteilt werden<<, und der K"onig konnte seine %S.40 R"ate nicht mehr zur"uckweisen. Es ward ein Gericht "uber %S.40 sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht %S.40 verteidigen konnte, ward sie verurteilt, auf dem Scheiterhaufen %S.41 zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, %S.41 und als sie an einen Pfahl festgebunden war und das %S.41 Feuer ringsumher zu brennen anfing, da schmolz das %S.41 harte Eis des Stolzes, und ihr Herz ward von Reue %S.41 bewegt, und sie dachte: >>K"onnt ich nur noch vor meinem %S.41 Tode gestehen, da"s ich die T"ur ge"offnet habe<<, da %S.41 kam ihr die Stimme, da"s sie laut ausrief: >>Ja, Maria, ich %S.41 habe es getan!<< Und alsbald fing der Himmel an zu %S.41 regnen und l"oschte die Feuerflammen, und "uber ihr %S.41 brach ein Licht hervor, und die Jungfrau Maria kam %S.41 herab und hatte die beiden S"ohnlein zu ihren Seiten und %S.41 das neugeborne T"ochterlein auf dem Arm. Sie sprach %S.41 freundlich zu ihr: >>Wer seine S"unde bereut und eingesteht, %S.41 dem ist sie vergeben<<, und reichte ihr die drei %S.41 Kinder, l"oste ihr die Zunge und gab ihr Gl"uck f"ur das %S.41 ganze Leben. %S.41