% @book{bg_hr_khm_1857, % author = "Br{\"{u}}der Grimm", % editor = "Heinz R{\"{o}}lleke", % title = "{K}inder- und {H}ausm{\"{a}}rchen", % publisher = "Philipp Reclam jun. GmbH {\&} Co.", % address = "Stuttgart, Germany", % year = "1995", % volume = "1", % series = "Universal-Bibliothek Nr. 3191", % isbn = "3-15-003191-5", % language = "German", % colophon = "BR{\"{U}}DER GRIMM % Kinder- und Hausm{\"{a}}rchen % AUSGABE LETZTER HAND % MIT DEN ORIGINALANMERKUNGEN % DER BR{\"{U}}DER GRIMM % MIT EINEM ANHANG % S{\"{A}}MTLICHER, NICHT IN ALLEN AUFLAGEN % VER{\"{O}}FFENTLICHTER M{\"{A}}RCHEN % UND HERKUNFTSNACHWEISEN HERAUSGEGEBEN % VON HEINZ R{\"{O}}LLEKE % PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART, 1980/1995" } % % Originaltext f"ur das LaTeX-Quelldokument % bearbeitet und redigiert von Y. Nagata, am 15. Februar 2001 % \praeambel{An die Frau Bettina von Arnim} \markright{An die Frau Bettina von Arnim} Liebe Bettine, dieses Buch kehrt abermals bei Ihnen ein, %S.11 wie eine ausgeflogene Taube die Heimat wieder sucht %S.11 und sich da friedlich sonnt. Vor f"unfundzwanzig Jahren %S.11 hat es Ihnen Arnim zuerst, gr"un eingebunden mit goldenem %S.11 Schnitt, unter die Weihnachtsgeschenke gelegt. Uns %S.11 freute, da"s er es so werthielt, und er konnte uns einen %S.11 sch"onern Dank nicht sagen. Er war es, der uns, als er in %S.11 jener Zeit einige Wochen bei uns in Kassel zubrachte, zur %S.11 Herausgabe angetrieben hatte. Wie nahm er an allem teil, %S.11 was eigent"umliches Leben zeigte: auch das Kleinste %S.11 beachtete er, wie er ein gr"unes Blatt, eine Feldblume mit %S.11 besonderem Geschick anzufassen und sinnvoll zu %S.11 betrachten wu"ste. Von unsern Sammlungen gefielen ihm %S.11 diese M"archen am besten. Er meinte, wir sollten nicht zu %S.11 lange damit zur"uckhalten, weil bei dem Streben nach %S.11 Vollst"andigkeit die Sache am Ende liegenbliebe. >>Es ist %S.11 alles schon so reinlich und sauber geschrieben<<, f"ugte er %S.11 mit gutm"utiger Ironie hinzu, denn bei den k"uhnen, nicht %S.11 sehr lesbaren Z"ugen seiner Hand schien er selbst nicht %S.11 viel auf deutliche Schrift zu halten. Im Zimmer auf und %S.11 ab gehend, las er die einzelnen Bl"atter, w"ahrend ein %S.11 zahmer Kanarienvogel, in zierlicher Bewegung mit den %S.11 Fl"ugeln sich im Gleichgewicht haltend, auf seinem Kopfe %S.11 sa"s, in dessen vollen Locken es ihm sehr behaglich zu %S.11 sein schien. Dies edle Haupt ruht nun schon seit Jahren %S.11 im Grab, aber noch heute bewegt mich die Erinnerung %S.11 daran, als h"atte ich ihn erst gestern zum letztenmal %S.11 gesehen, als st"ande er noch auf gr"uner Erde wie ein %S.11 Baum, der seine Krone in der Morgensonne sch"uttelt. %S.11 Ihre Kinder sind gro"s geworden und bed"urfen der M"archen %S.11 nicht mehr: Sie selbst haben schwerlich Veranlassung, %S.11 sie wieder zu lesen, aber die unversiegbare Jugend %S.12 Ihres Herzens nimmt doch das Geschenk treuer Freundschaft %S.12 und Liebe gerne von uns an. %S.12 \vspace{1\baselineskip} \noindent Mit diesen Worten sendete ich Ihnen das Buch vor drei %S.12 Jahren aus G"ottingen, heute sende ich es Ihnen wieder %S.12 aus meinem Geburtslande, wie das erstemal. Ich konnte %S.12 in G"ottingen aus meinem Arbeitszimmer nur ein paar %S.12 "uber die D"acher hinausragende Linden sehen, die Heyne %S.12 hinter seinem Hause gepflanzt hatte und die mit dem %S.12 Ruhm der Universit"at aufgewachsen waren: ihre Bl"atter %S.12 waren gelb und wollten abfallen, als ich am 3.~Oktober %S.12 1838 meine Wohnung verlie"s; ich glaube nicht, da"s ich %S.12 sie je wieder im Fr"uhlingsschmuck erblicke. Ich mu"ste %S.12 noch einige Wochen dort verweilen und brachte sie in %S.12 dem Hause eines Freundes zu, im Umgange mit denen, %S.12 welche mir lieb geworden und lieb geblieben waren. Als %S.12 ich abreiste, wurde mein Wagen von einem Zug aufgehalten: %S.12 es war die Universit"at, die einer Leiche folgte. Ich %S.12 langte in der Dunkelheit hier an und trat in dasselbe %S.12 Haus, das ich vor acht Jahren in bitterer K"alte verlassen %S.12 hatte: wie war ich "uberrascht, als ich Sie, liebe Bettine, %S.12 fand neben den Meinigen sitzend, Beistand und Hilfe %S.12 meiner kranken Frau leistend. Seit jener verh"angnisvollen %S.12 Zeit, die unser ruhiges Leben zerst"orte, haben Sie mit %S.12 warmer Treue an unserm Geschick teilgenommen, und %S.12 ich empfinde diese Teilnahme ebenso wohlt"atig als die %S.12 W"arme des blauen Himmels, der jetzt in mein Zimmer %S.12 hereinblickt, wo ich die Sonne wieder am Morgen aufsteigen %S.12 und ihre Bahn "uber die Berge vollenden sehe, %S.12 unter welchen der Flu"s gl"anzend herzieht; die D"ufte der %S.12 Orangen und Linden dringen aus dem Park herauf, und %S.12 ich f"uhle mich in Liebe und Ha"s jugendlich erfrischt. %S.12 Kann ich eine bessere Zeit w"unschen, um mit diesen %S.12 M"archen mich wieder zu besch"aftigen? Hatte ich doch %S.12 auch im Jahre 1813 an dem zweiten Band geschrieben, als %S.12 wir Geschwister von der Einquartierung bedr"angt waren %S.13 und russische Soldaten neben in dem Zimmer l"armten, %S.13 aber damals war das Gef"uhl der Befreiung der Fr"uhlingshauch, %S.13 der die Brust erweiterte und jede Sorge aufzehrte. %S.13 \vspace{1\baselineskip} \noindent Diesmal kann ich Ihnen, liebe Bettine, das Buch, das %S.13 sonst aus der Ferne kam, selbst in die Hand geben. Sie %S.13 haben uns ein Haus au"serhalb der Mauern ausgesucht, %S.13 wo am Rande des Waldes eine neue Stadt heranw"achst, %S.13 von den B"aumen gesch"utzt, von gr"unendem Rasen, %S.13 Rosenh"ugeln und Blumengewinden umgeben, von dem %S.13 rasselnden L"arm noch nicht erreicht. Als ich in dem %S.13 hei"sen Sommer des vorigen Jahres w"ahrend der Morgenfr"uhe %S.13 in dem Schatten der Eichen auf und ab wandelte %S.13 und die k"uhlende Luft allm"ahlich den Druck l"oste, der %S.13 von einer schweren Krankheit auf mir lastete, so empfand %S.13 ich dankbar, wie gut Sie auch darin f"ur uns gesorgt %S.13 hatten. Ich bringe Ihnen nicht eins von den pr"achtigen %S.13 Gew"achsen, die hier im Tiergarten gepflegt werden, auch %S.13 keine Goldfische aus dem dunkeln Wasser, "uber dem das %S.13 griechische G"otterbild l"achelnd steht: warum aber sollte %S.13 ich Ihnen diese unschuldigen Bl"uten, die immer wieder %S.13 frisch aus der Erde dringen, nicht nochmals darreichen? %S.13 Habe ich doch selbst gesehen, da"s Sie vor einer einfachen %S.13 Blume still standen und mit der Lust der ersten Jugend in %S.13 ihren Kelch schauten. %S.13 \ortzeit{Berlin, im Fr"uhjahr 1843} %S.13 \verfasser{Wilhelm Grimm} %S.13